Josso-Schleife? Thrombinhemmung? AT(-III), DOAK oder NOAK? Protein S und C? Es gibt eine ganze Menge Zeugs, über das wir noch nicht gesprochen haben im Beitrag zur Gerinnung, das man aber zumindest mal gehört haben sollte. Das wollen wir nun nachholen.

Die Josso-Schleife ist zweierlei. Zum einen eine Verstärkerschleife, zum anderen ein Kurzschluss vom extrinsischen ins intrinsische System. Was passiert? Wir erinnern uns: Tissue factor (TF, Gewebethromboplastin) und VIIa aktivieren X zu Xa. Xa und Va machen aus Prothrombin Thrombin, et voilà Fibrin entsteht. Gleichzeitig passieren 2 Dinge: a) TF/VIIa aktiviert auch IX zu IXa und b) über den TF/VIIa-Weg produziertes Thrombin aktiviert VIII zu VIIIa. Die Kombination von IXa und VIIIa als sog. Tenasekomplex aktiviert nun wiederum vermehrt Xa und schon haben wir eine sich selbst verstärkende Schleife, es entsteht viel (!) mehr Thrombin. Va wird übrigens von Thrombin aktiviert.

Überhaupt ist Thrombin nicht sehr spezifisch, sondern hat neben der Fibrinaktivierung vielfältige Nebenfunktionen als (Serin)Protease, v.a. die Aktivierung zu Va und VIIIa, die direkte Thrombozytenaktivierung über G-Protein-gekoppelte PAR-1 (protease-aktivierte Rezeptoren – da gäb’s n medikamentös nutzbaren Antagonisten: Voraxapar/ Zontivity®), ausserdem die Aktivierung von XI, XIII und Protein C.
Als zentraler Dreh- und Angelpunkt der Gerinnungskaskade bietet sich Thrombin, bzw. die Thrombinhemmung als therapeutischer Weg an. Im Körper übernimmt diese Funktion das entsprechend benannte Antithrombin, früher Antithrombin-III (neben der Hemmung von Xa, XIIa, XIa und IXa). Als Komplex mit Heparin steigert sich seine Affinität zum Thrombin beträchtlich (Faktor 1000), was den Wirkmechanismus der Heparine und Heparinoide erklärt. Heisst aber auch, kein AT, keine Heparinwirkung. Nun ist AT ein hepatisch synthetisiertes Glykoprotein, heisst, die schwere Hepatopathie kann mit AT-Mangel und damit Thrombosegefahr einhergehen. Die Relevanz der AT-abhängigen Thrombinhemmung zeigt sich daran, dass ein Fet mit homozygotem AT-Defekt nicht lebensfähig ist. Kurz zurück zu Heparinen und Heparinoiden. Alle wirken via AT, allerdings mit unterschiedlichem Effekt auf Thrombin und Xa. Unfraktioniertes Heparin (UFH) wirkt auf Thrombin und Xa, niedermolekulares Heparin (NMH, Enoxi-/ Certo-/ Nadro-, Dalteparin) v.a. auf Xa und die Heparinoide (Danaparonid/ Orgaran®, Fondaparinux/Arixtra®) als Synthetika wirken spezifisch nur auf Xa – alle verstärken hier nur die AT-Wirkung! PS die Synthetika/ Heparinoide kann man bei HIT-Patienten noch einsetzen.
- Heparin/ Heparinoidwirkung = antithrombinvermittelt
- unfraktioniertes Heparin (UFH): Thrombinhemmung & Xa-Hemmung
- niedermolekulares Heparin (NMH): primär Xa-Hemmung (geringe Thrombinhemmung, substanzspezifisches Verhältnis!)
- Heparinoide: Xa-Hemmung
Unsere DOAK/ NOAK (direkte/ neue orale Antikoagulantien) umgehen das AT, nutzen aber die selben Zielstrukturen. 2 Gruppen gibt es entsprechend: Direkte FXa-Inhibitoren (Apixaban/ Eliquis®, Edoxaban/Lixiana®, Rivaroxaban/Xarelto®…) und direkte Thrombininhibitoren (Dabigatran/ Pradaxa®).
- DOAK (direkte orale Antikoagulantien): direkte Xa- oder IIa (Thrombin)-Hemmung
- direkte Faktor Xa-Inhibitoren (Apixaban/ Eliquis®, Edoxaban/Lixiana®, Rivaroxaban/Xarelto®)
- direkte Thrombininhinitoren (Dabigatran/Pradaxa®): Thrombinhemmung (“anti IIa”)

Nicht oral einsetzbar, aber ebenfalls ein direkter Thrombininhibitor ist Argatroban/ Argatra®
Nun fehlen uns nur noch wenige Ansatzpunkte für eine Übersicht zu Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung. Marcumar/Phenprocoumon®, Warfarin/ Coumadin®, Acenocoumarol/ Sintrom® haben mit IIa und Xa nur indirekt zu tun, Cumarine hemmen kompetitiv die Vitamin K-abhängige hepatische Carboxylierung von II, VII, IX und X (und Protein S und C!) über die γ-Glutamylcarboxylase – es gibt also weniger funktionelle Faktoren und damit weniger Thrombinentstehung.

Thrombozytenaggregationshemmer wirken auf zwei Wegen a) über Enzymhemmung, genauer Cyclooxygenasehemmung (es entsteht aus Arachidonsäure eben KEIN Thromboxan A2). Bekanntester Vertreter ist das kardioprotektive ASS®/ Acetylsalicylsäure. Andere NSAID (reversible COX-Hemmer) wie Ibuprofen oder Naproxen haben übrigens keinen kardioprotektiven Effekt (Lancet 359; 118-123 (2002)), selektive COX2-Hemmer (‘Coxibe’) machen im Gegenteil wieder vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse, vor denen ASS dann wieder schützt, allerdings dann wieder mit erhöhtem Ulkusrisiko, das man ja eigentlich vermeiden wollte… (JAMA 286; 954-959 (2002)). Mehr dazu und zur COX-Hemmung allgemein siehe Addendum.
Der zweite Weg der Thrombozytenaggregationshemmung ist der direkte Antagonismus an Rezeptoren der Thrombozytenmembran (GPIIb/IIIa – Abciximab/ ReoPro®, Tirofiban/ Aggrastat®, Eptifibatid/ Integrilin®. P2Y1-ADP-Rezeptor – Clopidogrel/ Iscover® oder Plavix®, Prasugrel/ Efient®, Ticlopidin/ Tyklid®, GPIb-V-IX-Komplex Anfibatide (in klinischer Erprobung), PAR-1-Thrombinrezeptor – Voraxapar). Theoretisch gäbe es noch Dipyridamol und Prostaglandin E2, die jedoch in dieser Indikation nicht zum Einsatz kommen.

Reden wir noch kurz über Plasmin. Plasmin baut Fibrin und Gerinnungsfaktoren ab. Fibrinolyse und Plasmin sind ursächlich verknüpft, die Hyperfibrinolyse in Trauma, Infekt oder Postuterotomie-Atonie/Hämorrhagie findet hier ihr biochemisches Korrelat. Laborchemisch kennen wir zumindest eines dieser Fibrinspaltprodukte namentlich als D-Dimere aus der Thrombosediagnostik. Plasmin entsteht aus Plasminogen, seiner inaktiven Vorstufe. Verschiedene Substanzen fördern diese Aktivierung, unter anderem t-PA – ’tissue-Plasminogenaktivator’, Urokinase, XIIa und XIa. Soll heissen, bereits die Gerinnungsaktivierung und Gewebeverletzungen aktivieren eine Gegenregulation zur ablaufenden Gerinnung. Externe Aktivatoren können ebenfalls Einfluss nehmen, Streptokinase ist ein plasmin(ogen)aktivierendes Stoffwechselprodukt betahämolysierender Streptokokken. Wir nutzen diese Stoffe als Lysemedikamente bei z.B. der Lungenembolie (Streptokinase, Urokinase, rtPA = rekombinanter tPA/Actilyse®, Reteplase/Rapilysin®). Plasmin vermittelt hier bei allen die Wirkung. Plasmin ist auch der Angriffspunkt der Tranexamsäure, wo eine pathologisch gesteigerte Fibrinspaltung, also Hyperfibrinolyse in Trauma oder Infekt das Problem darstellt. Tranexamsäure blockiert dabei die Lysinbindungsstelle des Plasmins. Analog funktioniert Aprotinin, das therapeutisch nicht mehr relevant ist, uns aber noch als Diagnostikum als FIBTEM-Zusatz beim ROTEM begegnet. Primäre Regulatoren sind alpha2-Antiplasmin, wär hätte es gedacht und alpha2-Macroglobulin. Eine Stufe vorher reguliert ein Plaminogenaktivatorinhibitor (PAI) tPA und Urokinase. Thrombozyten sezernieren übrigens PAI-1 um lokal die Fibrinolyse zu unterbinden bis ein Endothelleck verschlossen ist.

Reden wir zum Schluss noch über Protein S und C, die kommen immer etwas zu kurz. Beide sind Plasmaserinproteasen, die als Komplex fungieren. Aktiviertes Protein C (APC) inaktiviert mit Protein S Va und VIIIa, also Cofaktor und Co-Aktivator (mit IXa) von Xa. APC wirkt also gerinnungshemmend. Warum ist das wichtig? 2 Gründe: a) eine genetische APC-Resistenz ist die Ursache für die Faktor-V-Leiden-Mutation, also die häufigste genetische Thromboseneigung. b) Protein S und C sind Vitamin K abhängig. Da sie sehr kurze Halbwertszeiten haben, fallen ihre Plasmakonzentrationen am Beginn der Therapie vor denen der anderen Faktoren, was eine initiale Thromboseneigung unter Cumarintherapie bedingt. Eine anfänglich überlappende Heparintherapie ist eine Option.

Addendum COX: Der Körper macht aus Phospholipiden über die Phospholipase A Arachidonsäure. Über die Cyclooxygenasen-1 und -2 Prostaglandine G2 und H2 und daraus über die Thromboxansynthetase Thromboxan A2 und über die Prostacyclinsynthetase Prostacyclin (= Prostaglandin I2) und Prostaglandin E2. Alle 3 wirken aggregationshemmend. COX1 ist in gesundem Gewebe ubiquitär (also zum Beispiel im Thrombozyten) aktiv. COX2 braucht zur Induktion Stimuli, z.B. Gewebeschäden oder Entzündung. COX1 vermittelt viele protektive Effekte, die durch Hemmung entsprechend ausfallen, gastrale Zytoprotektion, Nierenperfusion, Uterusrelaxation. Ausserdem wird die nicht verstoffwechselte Arachidonsäure vermehrt zu Leukotrienen umgesetzt, die Bronchospasmen auslösen können (‘Leukotrienshunt‘). Die Idee war, dass selektive COX2-Hemmung nur entzündliche Gewebe betrifft und Nebenwirkungen so reduziert wären. Leider spielt die COX2 eine Rolle für die PG E2-vermittelte Endothelfunktion, so dass in Risikopatienten vermehrt kardiovaskuläre Zwischenfälle auftreten – Zunehmende COX2-Selektivität ist ein kardiovaskulärer Risikofaktor. Einzig ASS und Naproxen gelten hier als safe. Wer hat aber nun Einfluss auf die Gerinnung? ASS, ja. Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac und Metamizol trotz COX-Inhibition nicht wesentlich. Im Gegenteil können Ibu und Metamizol sogar eine ASS-vermittelte Aggregationshemmung reduzieren (Link, Link), was für Coronarpatienten relevant sein kann.
So viel Info… ich weiss, warum ich Gerinnung bisher etwas umgangen hab…