Kind im Saal, einjährig, Monitoring dran und -blibblibblibblibblib – 130er Frequenz am Kind und instantan auch am Assistentenherz. Was ist denn da los, warum ist denn das so schnell? Schock, Exsikkose, Rhythmusstörung? Was tun? Der angstvolle Blick geht zum OA, der gemütlich Zeitung liest.
Kinderherzen schlagen schnell, niedervolumig und weitgehend auswurfvolumenkonstant!
Wo Oma Berta schon an die pektanginöse Frequenzgrenze kommt schlägt das Neugeborenenherz noch weitgehend normokard – beim Reifgeborenen liegt die Ruhefrequenz bei 120-160/min. Was wir bei Erwachsenen als normofrequent oder leicht bradykard ansehen würden, ist beim Neugeborenen bereits interventionsbedürftig (HF <100/min), wenn nicht gar Grund zur Reanimation (HF<60/min)! Hier mal grobe Orientierung zur Herzfrequenz der Kids:
- NG 130/min
- 6 Mt. 120/min
- 1 Jahr 110/min
- 4 Jahre 100/min
- 10 Jahre 90/min
Warum so schnell? Weil wenig rauskommt und das auch noch mit wenig Druck: Das kindliche Herz besitzt gegenüber dem erwachsenen Herzen deutlich weniger kontraktile Elemente, seine Compliance ist deutlich kleiner. Damit ergeben sich:
- ein quasi fixiertes Schlagvolumen
- geringe Reaktionsfähigkeit im Sinne des Frank-Starling-Mechanismus mangels entsprechender Kontraktilität
- ein geringer Einfluß von Inotropika.
Dem im Vergleich höheren Sauerstoffbedarf (in Ruhe etwa 7 ml/kg/min statt 3,5 ml/kg/min) muss das kindliche Herz also primär über eine Frequenzerhöhung begegnen – weil weder Volumen noch Schlagkraft wesentlich steigerbar sind.
Das HZV des Neugeborenen liegt trotzdem höher als beim Erwachsenen – etwa 250 ml/kg/min gegenüber 70 ml/kg/min. Pharmakologisch heisst das, kurze Anschlagszeiten, höherer Dosisbedarf und schnellere Umverteilung und Konzentrationsabfälle.
Und woher weiss ich dann ob es kritisch wird? In der Praxis stehen uns oft nur mittlerer arterieller Druck (MAD) und die Rekapillarisierungszeit als Surrogatparameter zur Verfügung. In peripheren Häusern kann bereits das Serumlaktat oder der Base Excess als Parameter der Mikrozirkulationsstörung oder eine invasive Überwachung (ZVK mit zentralvenöser Sättigung, arterielle Katheter…) des Kindes mangels Material und Erfahrung schwierig werden. Auf einen ausreichenden mittleren arteriellen Druck ist also zu achten!
Auch Kinder erleiden cerebrale Hypoperfusion mit teilweise deletärem Ausgang, als Richtschnur kann gelten (“0110- 40/50/60”):
- FG: MAP [mmHg] etwa Gestationsalter in Wochen, Daumenregel: >30 mmHg
- NG: >40 mmHg
- ab 1 Jahr >50 mmHg
- ab 10 Jahren >60 mmHg, damit sind wir etwa bei den Werten für Erwachsene mit angelangt
Abweichungen von 10 oder mehr mmHg vom MAD nach unten sind umgehend forciert zu behandeln!
Nebenbei: bis zum Beweis des Gegenteils ist kindliche Bradykardie erstmal hypoxiebedingt zu werten. Entsprechend bei Bradykardie erstmal Atemwege freimachen und Sauerstoff geben! In der KinderREA also erst beatmen dann checken, dann Thoraxkompressionen.
Beim Kind unter Narkose sollte man den kardiodepressiven Aspekt der Volatila nicht vergessen. Ungünstigerweise benötigen Kinder eine deutlich höhere minimale alveoläre Konzentration (MAC) während sie kardial um einiges empfindlicher auf Volatila reagieren. Wenn die Hypoxie als Grund für die Bradykardie ausgeschlossen ist, so ist die Narkose vielleicht unangemessen tief? Gelegentlich lohnt auch der Blick über`s Tuch, wir denken an den okulokardialen Reflex beim Zug an den Augenmuskeln bei Schieloperationen. Nachlassen des Zugs wirkt oft Wunder. Ggf. löst Atropin (0,01 mg/kg) im Notfall auch ohne Zutun des Chirurgen das Problem mit diesem vagusvermittelten Reflex.
Und der Mitteldruck? Oft besteht ein relativer Volumenmangel. Das zusammen mit zu hohem PEEP (auch AutoPEEP!) macht hypoton. Wie erwähnt wirken Inotropika weniger effektiv. Eine ggf. wiederholte volume challenge von 10 ml/kg mit adaptierter Elektrolytlösung zeigt, ob man richtig liegt. Auch Kinder kann man mit Volumen überladen! Fingerspitzengefühl ist also angebracht.
Auch ein spontaner Spannungspneumothorax als Hypotoniegrund sollte bei Frühchen angedacht werden.
Wollen wir tatsächlich pharmakologisch aktiv werden, gilt für unsere Inotropika:
- Ephedrin 0,1 mg/kg i.v. (“Baby-Ephedrin 0,5 mg”)
- Adrenalin 0,1-1 μg/kg/min (Perfusor)
- Noradrenalin 0,1-1 μg/kg/min (Perfusor)
- Dopamin 1-10 μg/kg/min (Perfusor)
- Dobutamin 2-10 μg/kg/min (Perfusor)
Ich selber habe mit Dopamin am Kind keine Erfahrung und folge einer Empfehlung von Dr. Martin Jöhr, Emeritus des Kantonsspitals Luzern und graue Eminenz der Kinderanästhesie. Die Arrhythmogenität sei in der Kinderanästhesie kein Problem, die Tachykardie erwünscht, endokrine Effekte vernachlässigbar. Ein Buch, das ich euch hier nur sehr ans Herz legen kann ist Martin Jöhr, Kinderanästhesie, aktuell in der 10. Auflage von 2023.
Claudia Spies und ihre wunderbaren Kollegen geben u.a. folgende Dosierungen an (Claudia Spies et al. 2013, SOPs in Anästhesiologie und Schmerztherapie)
- Dobutamin 1-20 μg/kg/min (init. 5 μg/kg/min)
- Adrenalin 0,01-1 μg/kg/min (init 0,1 μg/kg/min)
- Noradrenalin 0,01-1 μg/kg/min (init. 0,1 μg/kg/min)
Hallo lieber Michel,
du schreibst bei Inotropika:
“Ephedrin 0,1mg/kg i.v.
Adrenalin 0,01 mg/kg/min via Perfusor
Dopamin 0,01 mg/kg/min via Perfusor”
Ephedrin gibt es bei uns in der Klinik nicht, daher kann ich dazu nichts sagen. Und Dopamin habe ich zum Glück bisher auch nur bei Erwachsenen gebraucht.
Kann es sein, dass sich beim Adrenalin der Fehlerteufel eingeschlichen hat und ggf. dein PC das “Alt Gr.” für das mu nicht gefressen hat? Mir erscheint 0,01 mg (was da 10 µg/kg/min entspräche) zu viel. Aber, ich fange auch nur gerade an mich mit den “großen Kindern” auszukennen.
Liebe Grüße und danke für diese tolle Reihe!