BOA reboot -Kinderanästhesie 1… erste Ideen

Kinderanästhesie macht erstmal Angst. So ne Hand voll Leben. In gefühlt jeder Lebenswoche andere Anatomie, Physiologie, Enzymbesatz, und, und, und… und dann noch Zulassung und der ganze off-label Kram mangels Studien… klar macht das erstmal Mores… und es stimmt ja auch, das Risiko bei Kindernarkosen ist erhöht auch beim gesunden Kind – v.a. subjektiv ist der Druck umso größer, je seltener wir Kinder entsprechender Altersstufen behandeln. Erfahrung gibt Sicherheit und verbessert das outcome. Aber einem Aspekt unserer Arbeit kommt gerade bei der Kindernarkose ein wesentlicher Anteil zu und diesen Aspekt können wir alle optimieren – Antizipation und Vorbereitung! Nirgends sonst in der Anästhesie ist es so wichtig gut gerüstet in Wissen und Material “ins Feld zu ziehen” wie in der Kinderanästhesie. Nirgends ist es so wichtig, nicht vom “guten Weg” des Homöostaseerhalts abzuweichen.

Wichtiger noch als beim Erwachsenen ist das Prämedikationsgespräch und die körperliche Untersuchung des Kindes.

Selbst Kinder ohne wesentliche Vorerkrankungen können bisher unerkannte Problematiken – v.a. Gerinnungsstörungen, Herzfehler, MH-Dispisition -mitbringen. Der gründlichen Anamnese z.B. hinsichtlich familiärer Gerinnungsstörungen kommt hier eine äußerst wichtige Rolle zu.

Der erste Eindruck zählt. Ein krankes Kind, das nicht spielt, das Fieber hat, dem die Nase läuft, das schwer durch den Mund atmet, auffällig blaß ist, ist kaum für den elektiven Eingriff geeignet. Fieber und Krankheitsgefühl sind hier führend, um einen elektiven Eingriff z.B. in der Grippesaison um 4-6 Wochen zu verschieben. Das Risiko respiratorischer Notfälle von asthmoider Symptomatik über Broncho- und Laryngospasmus steigt exponentiell mit bronchopulmonalen Infekten. Eine gewisse Ausnahme bilden Kinder zur Tonsillektomie/ Adenotomie, die mit chronischen Infekten der definiten Therapie zugeführt werden. Diese Kinder sind aber selten “schwer krank” sondern meist nur “veschnupft”.

Körpergewicht – wir orientieren uns bei allen Medikamentendosierungen, bei den Einstellungen zur Beatmung und bei der Volumentherapie am Realgewicht.

Eine grobe Orientierung zum “Normalen” sollte man vor Augen haben:

  • Geburtstermin ca. 3,5 kg
  • mit 6 Monaten x2
  • mit 12 Monaten x3
  • mit 24 Monaten x4

oder in den so beliebten (für mich selten praktikablen Formeln):

  • Säugling KG = (Alter in Monaten + 9) :2
  • Kinder KG = (Alter in Jahren + 4) x2

Für die Einfachgestrickten (wie mich) ist die Fingerformel praktikabel, die Finger werden mit aufsteigenden Primzahlen bezeichnet (Daumen 1, 3, 5, 7, Kleinfinger 9), was das Alter in Jahren darstellt, danach mit einem jeweils um 5 kg zunehmenden Gewicht ausgehend von 10 kg (10kg, 15kg, 20kg, 25kg, 30kg).

Angesicht der kurzen bisherigen Lebensläufe ist die Wahrscheinlichkeit “zufällig” auf bisher undetektierte Erkrankungen zu stoßen besonders groß. Entsprechend wichtig sind bei Gerinnungsstörungen und der malignen Hyperthermie strukturierte Anamnesen. So ist die strukturierte Gerinnungsanamnese der laborchemischen Kontrolle mindestens ebenbürtig.

Ein bisher nicht apparent gewordener Herzfehler fällt einem vielleicht bei der gründlichen Auskultation auf.

MH-Anamnese: auffällige Anamnese der Familie hinsichtlich schweren Narkosezwischenfällen, unklaren anästhesieassoziierten Todesfällen, bekannte MH, Narkoseausweise

Gerinnung: Nasenbluten, unklare blaue Flecke, langes/ verstärktes Nachbluten nach Zahneingriffen/ Operationen, Medikamente bei Kind/ Verwandschaft, bekannte Gerinnungsstörungen in der Familie


Zur Planung von Intubation inkl. Material und Induktion/ Narkoseführung siehe die entsprechenden Kapitel in den kommenden Wochen!


Bei “Notfallkindern” lohnt sich eine grobe Heuristiken im Kopf zu haben:

  • Säugling ohne Zähne – <6-8 Monate – 3er Tubus mit Cuff
  • Sägling mit offener Fontanell – <18-24 Monate – 3,5er Tubus mit Cuff
  • Laufendes Kind mit Windel – unter 4 Jahre – 4er Tubus mit Cuff
  • Kind mit Zahnlücke vorn – 6-7 Jahre – 5er Tubus mit Cuff
  • Lächeln mit 6 Wochen
  • Kopfheben mit 2 Monaten
  • Verfolgen mit den Augen mit 3 Monaten
  • Sitzen mit 6 Monaten
  • Stehen mit 9 Monaten
  • Gehen mit 12 Monaten

Anatomie

Es ist eine Binsenweisheit, dass halt alles kleiner ist, denn es ist nicht nur alles kleiner und in der Regel verletzlicher, sondern auch die Verhältnisse sind verschoben und an einigen Stellen ist die Anatomie doch etwas verändert im Vergleich zum Erwachsenen. Auffälligster Unterschied ist der relativ große Kopf, das größere Abdomen im Vergleich zum Thorax und die kleineren Extremitäten. Die Körperoberfläche ist zum Körpervolumen vergrößert, was schnelle Wärmeverluste begünstigt. Der große Kopf („eingebautes Intubationskissen“) liegt in Rückenlage bereits in verbesserter Jacksonposition, eher ist manchmal eine Schulter-/ Nackenrolle notwendig. Die Mundöffnung ist klein, die Zunge relativ dazu groß, der Kehlkopf steht höher und man blickt auf eine lange, u-förmige Epiglottis. Die Luftwege sind zart. Der geringe Durchmesser führt zu sehr schneller Verlegung auch bei nur moderater Schwellung.

Die engste Stelle des Larynx liegt auf höhe des Crycoids, ist also nicht die Glottis. Die Trachea ist kurz, beim NG 4 cm, beim 8-jährigen 5,7 cm. Die Hauptbronchien gehen beim Neugeborenen mit identischem Abgangswinkel (55°) ab, es ist also eine beidseitige Fehlintubation möglich!

Die Haut ist dünn und leicht verletztlich, schon Desinfektionsmittelreste können zu Verbrennungen fuhren. Die Subkutis ist dünn, Wärmeverluste – v.a. über den Kopf – leicht möglich.

Der Venenstatus ist oft genug schwierig. Die Verhältnisse machen eine Unterscheidung zwischen Venen und Arterien oft nicht leicht.




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