Die klinische Anästhesie ruht auf mindestens drei Säulen
- Schmerzfreiheit (1)
- Schlaf/ Vergessen/ Angstlosigkeit (2)
- Muskelrelaxation (3).
Weitere Bereiche wären z.B. Additiva wie Atropin. Wir reden heute über die “Säule Schmerzlosigkeit” mit ihren Grundsubstanzen, den Opiaten/ Opioiden.
Opiate sind Abkömmlinge von Alkaloiden aus dem Ritzsaft von Mohnkapseln des Schlafmohns (Papaver somniferum). Darin sind es vor allem die auch heute noch eingesetzten Substanzen Morphin und Codein, die Wirkung entfalten. Warum Opiate? Opium ist der getrocknete und bräunlich aufoxidierte Ritzsaft, der als Rauschmittel diente und dient. Opiate sind die darin enthaltenen natürlichen Wirksubstanzen. Opioide sind die auf unterschiedlichsten Wegen entstehenden künstlichen Vertreter dieser Gruppe.
- Opiate – natürliche Alkaloide Morphin/ Codein
- Opioide – künstlich hergestellte Derivate
Das Wirkprinzip beruht auf der Tatsache, dass es endogene Opioide oder Morphine, sog. Endorphine im menschlichen Körper gibt, deren Wirkung über Rezeptorinteraktionen an speziellen Rezeptoren entstehen. Diese Rezeptoren werden als Opioidrezeptoren bezeichnet und als μ, κ und δ (Müh, Kappa, Delta) klassifiziert. Sie finden sich auf verschiedenen Ebenen der Neurokaskade peripher, spinal und cerebral.
Für die Analgesie sind vor allem μ-Rezeptoren verantwortlich, auch die Euphorie, Sucht und Atemdepression haben hier ihren Ursprung. Sedierung und Dysphorie werden wohl über κ vermittelt, die Obstipation über δ.
Liganden am Opioidrezeptor können agonistisch oder antagonistisch wirken und unterschiedlich fest am Rezeptor binden und unterschiedliche intrinsische Aktivität, also Wirkung zeigen. Im OP verwenden wir zur Analgesie ausschliesslich reine μ-Agonisten mit hoher intrinsischer Aktivität, also analgetischer Wirkung. Und wir sind alle Spritzer – im OP läuft also alles primär über Kompartiment 1 intravenös – Gott sei Dank! Alles ganz einfach, oder?
Reine Antagonisten begegnen uns, wenn wir die Opioidwirkung reduzieren oder aufheben wollen, also bei Überhang im OP oder Intoxikation auf der Strasse in Form von Naloxon.
- üblicher μ-Antagonist im OP Naloxon (es gibt auch noch Naltrexon, aber eher p.o.)
Mischtypen wie gemischte Agonisten-Antagonisten (Nalbuphin) und Partialagonisten (Buprenorphin) begegnen uns zunächst nur als Interaktionsproblematiken in Toxikologie oder Prämedikation, weil sie die Wirkung der OP-Opioide reduzieren können und aufgrund hoher Rezeptoraffinität schlecht bis nicht antagonisierbar sind. Nalbuphin kommt zumindest in der Schweiz in der Kinderanästhesie postOP zum Einsatz weil es prolongierte Atemdepressionen im Niedrigdosisbereich durch Rezeptorinteraktion so kupiert.
Es gibt zwei wesentliche Gruppen an μ-Agonisten: Phenantrene (v.a. Morphin) und Phenylpiperidine (wie Fentanyl und seine Derivate).
- Opiate/Opioide in 2 Gruppen: Phenantrene & Phenylpiperidine
Die im OP verwendeten Substanzen sind:
- Fentanyl
- Sufentanil
- Remifentanil
- Alfentanil
- Morphin
- Piritramid (Dipidolor, v.a. in Deutschland)
- (selten Pethidin)
Sie unterscheiden sich v.a. in Wirkdauer und Potenz. Morphin und Dipidolor, gelegentlich Pethidin werden v.a. im Aufwachraum zur postoperativen Analgesie eingesetzt. Sprechen wir von analgetischer Potenz ist der relative Bezugspunkt Morphin mit der relativen Wirkstärke 1 (die sog. “Äquipotenz” bezieht sich also immer auf “Morphinäquivalente”)
Irgendwie lässt es sich nicht vermeiden, alle Opioide einzeln durchzugehen, also auf zum kurzen Stelldichein aller OP-Opioide: (Dosierungen findet ihr im Spickzettel, die Angaben sind mit Karow/ Lang und Thiel/ Röwer abgeglichen). Und ja, alle machen Atemdepression und Bradykardie.
Morphin – Potenz 1 – die Mutter aller Opioide (ist Codein dann der Papa?), ursprünglich gewonnen aus Mohnkapselritzsaft und in Opiumhöhlen geraucht, geben wir es prinzipiell mal p.o., i.v. oder intrathekal. Recht wenig lipophil, braucht es ein bisschen länger bis zum Anschlag, dafür wirkt es hinten raus etwas länger. Wer intrathekal (0,5-1 mg, Kdr. 0,02 mg/kg) oder epidural (1-4 mg, Kdt. 0,05-0,1 mg) aktiv wird, muss bis 24 h auf späte Atemdepressionen überwachen. Mo ist anfangs ziemlich emetogen und es kummuliert zusammen mit seinen Metaboliten bei Leberinsuffizienz und Niereninsuffizienz. Histaminliberation und Obstipation sind gängig.
Fentanyl – Potenz 125 – Muttersubstanz der Phenylpiperidine (übrigens FentanYl schreibt man mit Y wie Ypsilon und die Derivate wie RemifentanIl mit I wie Ida, gelle?). Sehr lipophil, WD um 30 min (schnelle Umverteilung), aber rascher Anstieg der kontextabhängigen HWZ. Fentanyl gibt’s in Palli und Schmerz zusätzlich in x parenteralen Formen (TTS, Lolli, buccal, sublingual, Nasenspray…) – warum? Lipophil, schnell da, kurzwirksam, gut steuerbar gegen akute Schmerzspitzen und verlässliche Kinetik.
Sufentanil – Potenz 1000 – unser stärkstes, schneller und kürzer als Fenta
Alfentanil (Rapifen®) – Potenz 50 – kurze Wirkdauer um 10 min, ambulante Kurzeingriffe!
Remifentanil (Ultiva®) – Remifentanil, einziger genutzter Vertreter der esterasemetabolisierten Opioide (EMO) zeigt keine kontextabhängige Halbwertszeit, also auch nach längerfristiger Gabe keine Wirkverlängerung über die 3-4 min Wirkdauer hinaus. Definitionsgemäss sind wir hier ja weitgehend organunabhängig. Schön, wenn man Probleme mit Niere oder Leber hat oder eins von beiden nicht hat, z.B. im Rahmen von Ausklemmzeiten oder Transplantationen, bzw. Organversagen. Auch auf der IPS und für die Kurzsedation kommt Ultiva immer mehr in Mode – leider eine off-label Mode. Nebenwirkungen sind Thoraxrigidität und Bradykardie, v.a bei Bolusgabe, was länderseitig zu unterschiedlichen Empfehlungen führt. Super ist Remifentanil in der TIVA und der TIVA eingesetzt.
Piritramid (Dipidolor®) – Potenz 0,7 – wenig emetogen, wenig euphorisierend, wenig Kreislaufeffekt, insgesamt ähnlich wie Mo.
Pethidin (u.a. Dolantin®) – Potenz 0,1 (also vergleichbar mit Novalgin…) – wirkt gut gegen postopetatives shivering nur als Bolus mit 0,25-0,5(-1) mg/kg, wohl weniger spasmogen bis spasmolytisch am Sphicter odi und allgemein gastointestinal, v.a. aber kummulativ epileptogen und Trigger für Porphyriekrisen.
Und wie leg ich nun los? Üblicherweise leiten wir für Blinddarm, Galle und Co. mit Boli von Fentanyl oder Sufentanil ein. Alles einfache und wenig schmerzhafte unter 15 Minuten ginge auch single shot mit Alfentanil (also Nävi, Spickdrähte, sichtbare (!) Fremdkörper…). Führen werden wir dann mit bedarfsgerechten Boli von Fenta/ Sufenta oder mit Remifentanil-TIVA/ TCI. Der Streit, ob man Fenta/ Sufenta-Boli mit Remifentanil gibt, ist irgendwie müssig. Bei 3-4 Minuten HWZ kommt der end-of-dose pain zeitgleich mit dem Patienten im AWR an. Nach dem 2. Mal “lieben” Dich Schwestern und Brüder dann als Dr. Pain und du lernst ganz von allein “postopetative Schmerztherapie beginnt intraoperativ“… Rezeptorinteraktion hin oder her, irgendwann muss mal was mit längerer HWZ in den Patienten, Novalgin langt halt für Hüfte oder Spondylodese nicht. Das rechte Mass für Repetitionsdosen lernt man mit der Zeit nach dem Motto “Wer spritzt, sitzt” – Fenta 1-3 mcg/ kg Idealgewicht und plusminus ein Viertel davon nochmal zum Schnitt ist ne brauchbare Heuristik für Alltagsschnitte bis 30-45 Minuten. Alles natürlich bedarfs- und situationdabhängig. Späte Boli – lange Schläfer. Frühe/ keine Boli – Aua-aua.
Warum kein Mo/Fenta/Sufenta-Perfusor? Weil lipophiles die lahmen Kompartimente füllt und deshalb ewig nachhängt, auf schlau: weil bei repetitiver oder kontinuierlicher Gabe lipophiler Substanzen die relative HWZ zum Zeitpunkt X abhängig von Gabeintervall- oder frequenz sowie kontinuierlicher Verabreichungsdauer und -dosis exponentiell steigt. Das wäre dann auch die Definition der kontextabhängigen HWZ und die explodiert bei Fenta schnell mal auf 8 Stunden. Blöd im ambulanten Setting, wenn Lise Müller um 16 Uhr vom Taxi abgeholt wird, die Atemdepression aber noch bis 21 Uhr hält…
Und postOP? Na eben, früh die Basis legen. Paracetamol und/ oder Metamizol, Diclofenac Supp und zum Nachtisch Morphin 1-5 mg (bis 10 mg) oder Dipidolor 3,5-7,5 mg (bis 15 mg) repetitiv bei Bedarf. Und nicht vergessen, manchmal sind Aua und Aua nicht dasselbe. Manchmal kupiert man lieber Übelkeit und Agitation mit Vomex® (Dimenhydrinat als H1-Blocker erster Generation wirkt v.a. bei Alten leicht sedativ, das beigemischte Chlortheophyllin wirkt kaum; gibt’s aber nur in Deutschland, sorry liebe Schweizer) oder Temesta® (Lorazepam, ein mildes Benzodiazepin, “mother’s little helper”) als mehr Opioid zu geben und je nach Eingriff ist die sekundäre Regionale (Schulter, Peripherie) auch keine Schande und spart Opioide, Schmerz und Nebenwirkungen. Da sollte man gerade bei OP-Feldnähe immer vorher den Operateur fragen. Und wenn’s Eiter gibt, gibt’s immer den Primärverdacht in Richtung regionalisierender Anästhesist…
So… der gute Weisswein vom Kollegen aus LÖ ist leer. Basta Lehre für heute. Keep it up!