LA. Lokalanästhetika. Meist beschränkt sich das Wissen auf die Tatsache, dass es sie als Ester und Amide gibt, dass Ester bähbäh sind wegen Allergien und welches LA im Haus in welchen Mengen üblicherweise gespritzt wird. Man mag es vermuten: das ist zu wenig.
Lokalanästhetika zeichnen sich durch ein paar relevante physikochemische Eigenschaften und Besonderheiten aus. Zum einen sind sie amphiphile Moleküle. Heisst, sie haben je nach Umgebungs-pH lipophile oder hydrophile Eigenschaften – sind also mal mehr und mal weniger fettlöslich und damit membrangängig.
Warum ist das so? LA bestehen aus grundlegend drei Basiselementen:
- Zwischenkette als Ester- oder Amid
- lipophile aromatische Gruppe
- potentiell hydrophile Aminogruppe.

Unsere Aminogruppe (mit so nem freien Elektronenpaar) im an sich ungeladenen Molekül kann ein Proton aufnehmen und wird damit “polar”, also geladen. Je saurer die Umgebung, desto mehr Protonen, desto wahrscheinlicher die Aufnahme. Ein Proton extra heisst, eine Ladung mehr im Molekül, womit unser LA eben nun ein hydrophiles weil polares/ geladenes Ende entwickelt. Umgekehrt heisst das, je weniger sauer, desto wahrscheinlicher ungeladen/ apolar, desto fett-/membranlöslich. Wir merken uns analog zum gemütlichen und unparteiischen Oberarzt mit Gewichtsproblem “nicht sauer =nicht polar = fett(löslich)”

Die Masszahl für diese Aufnahme ist der pKs-Wert, der substanzspezifisch ist. Entspricht der pH dem pKs dann liegen hydrophile und lipophile Form in gleichen Konzentrationen vor. Wird`s saurer haben wir mehr hydrophile Form. Wird es alkalischer, dann haben wir mehr von der lipophilen Form. Nebenbei bemerkt ist die Wirkdauer und die Anschlagszeit abhängig von der Lipophilie – je lipophiler desto schneller und länger.
Mancher fragt sich: Und warum ist dieses chemische Geplänkel wichtig? Also LA wirken von intrazellulär an Natriumkanälen, die sie durch ladungsgebundene Interaktion mit einem “Spannungsfühler” im Inneren des Kanals blockieren. Damit bleibt die Depolarisation und Schmerzweiterleitung aus. Um aber den Natriumkanal zu blockieren benötigt es geladene Moleküle. Damit aber diese Moleküle von intrazellulär in den Kanal geraten können, muss unser LA erstmal quer über die Membran diffundieren und dazu muss es wiederum ungeladen und lipophil sein. Also ungeladen diffundiert das LA zum Wirkort, geladen blockiert es den Natriumkanal von intrazellulär. Angeblich beschleunigt motorische Aktivität den Anschlag, sozusagen durch Öffnung der Kanäle und damit leichteres Eindringen von Agens zum Wirkort. Well.
> Lokalanästhetika wirken über die reversible Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle peripherer Nerven.
Jedes LA hat einen spezifischen pKs-Wert als Ausdruck der Dissoziation in wässrigem Millieu. Als negativer dekadischer Logarithmus der Konzentrationen von protonierter und nicht protonierter Form ergibt sich aus der Dissoziationskonstante Ks ohne dass wir hier näher drauf eingehen die Henderson-Hasselbalch-Gleichung:
pH = pKs – log10 [c(LA-H+)/c(LA)] oder pH = pKs + log10 [c(LA)/c(LA-H+)]
Was merken wir uns dazu? Entsprechen sich pH und pKs, dann liegen lipophile und hydrophile Form im Verhältnis 1:1 vor. Nun liegen die pKs-Werte unserer üblichen LA im Bereich zwischen 7,7 und 9,1. Das heisst vom LA aus gesehen ist “physiologisch” (also pH 7,35-7,45) schon sauer. Ergo liegt bereits unter physiologischen Bedingungen wesentlich mehr protonierte also nicht membrangängige Form vor. Entzündet sich nun unser Gewebe auch noch, sinkt der pH weiter. Deshalb wirken LA direkt im entzündeten Areal nicht mehr ausreichend. Eine Leitungsanästhesie weiter zentral ist aber – im gesunden Gewebe – dennoch möglich!
> Je saurer das Gewebe im Injektionsareal (Entzündung!) desto weniger wirken LA (v.a. protonierte – nicht membrangängige Form!)

“Ion trapping” sollte man mal gehört haben. Soll heissen, wenn in zwei benachbarten Kompartimenten eines einen niedrigeren pH hat, dann diffundiert LA dorthin, wird protoniert und kommt als nicht mehr lipophiles Molekül nun nicht mehr zurück über die Membran. Das kann intrazellulär sein, zum Beispiel dauert die Abdiffusion von LA aus dem Reizleitungsgewebe eines reanimierten Herzens wesentlich länger, aber auch ein minderperfundiertes Kind mit Azidose unter Geburt wird so zum LA-Magneten und zur LA-Falle!

Es gibt bei Wirkeintritt eine typische Sequenz des Ausfalls der neuronalen Qualitäten, dabei sind Faserdicke und Myeliniserung relevant. Beide verlängern die Diffusionsstrecke, ergo müssten zunächst dünne und wenig bis unmyelinisierte Anteile ausfallen, die dicken Fasern mit starker Umhüllung kämen zuletzt. Schauen wir uns die Nervenfasertypen an: Die Faserdicke nimmt jeweils von Aα bis C ab. Die Myeliniserung nimmt ebenfalls im selben Sinne ab, C-Fasern sind unmyelinisiert. Also müssten die jeweiligen Qualitäten dank abnehmender Diffusionsstrecke/-barriere in umgekehrter Reihenfolge von C nach Aα ausfallen. Und so ist es auch:
- vizerale Analgesie & Sympathikolyse mit Vasodilatation (B/C-Fasern)
- Verlust von Wärmeempfinden (“Wo ist noch kalt?”) und somatische Analgesie (“Schnitt”) (Aδ)
- Verlust von Propriozeption (Aγ) und taktiler Sensibilität (Aβ)
- Parese (Aα)
Abgebaut werden Ester und Amide unterschiedlich. Bei den Estern entsteht über Pseudocholinesterasen hochallergene para-Aminonezoesäure (PABA), was dazu geführt hat, dass Ester-LA wegen allergischer Nebenwirkungen kaum mehr verwendet werden (ausser Chloroprocain als kurzwirksames LA für die ambulante Spinale). PABA wird hepatisch zu Aminoalkoholen und Carbonsäuren abgebaut, die renal ausgeschieden werden. Amide werden hepatisch abgebaut (Hydroxylierung, Dealkylierung, Konjugation mit Glucuronsäure) und renal eliminiert.
Die Nebenwirkungen erklären sich aus der Wirkung an den erwähnten spannungsabhängigen Natriumkanälen. Die gibt`s an faktisch allen Nervenfasern, weshalb sowohl das ZNS als auch das Reizleitungssystem unseres Herzens betroffen sind und bei der Intoxikation (“LAST – Lokalanästhetikabedingte systemische Toxizität”) im Vordergrund stehen. Die Übergange sind hier fliessend bis perakut. Die Lösung heisst LipidRescue… dazu an andrer Stelle mehr, hier reicht zu wissen, wo es bei euch im Notfall zu finden ist. Merken darf man sich aber gern, dass Prilo und Lido ganz gut verträglich sind, Bupi und Ropi eine relative Affinität zum Reizleitungssystem haben und aufgrund ihrer Lipidlöslichkeit auch schnell dort landen, was ihre Toxizität erhöht.

Prilocain bringt noch eine spezifische Nebenwirkung mit: es ist ein Methämoglobinbildner über sein Stoffwechselprodukt ortho-Toluidin, das aus dem Häm-Zentralatom Eisen-II schnell wenig sauerstoffaffines Eisen-III macht. Kinder aufgrund eines Mangels an MetHb-Reduktase, Lungenerkrankte, G6P-Dehydrogenasemagelnde und KHKler sollten bei höheren Dosis Prilocain (jenseits der 600 mg wird`s auch beim Erwachsenen potentiell tödlich!) fragende Falten auf die Stirn zaubern.
Dosierungen sind so ein Thema. Zum einen sollte man wissen und berechnen können, was man da so an Dosis bewegt. Ein Rechenbeispiel gefällig?
Wie viel mg sind 2 ml einer 0,5%igen Ropivacain-Lösung?
Der Vereinbarung nach enthält eine 1%ige Lösung 10 mg/ml Wirksubstanz. Also enthalten 2 ml einer 0,5%igen Lösung 2x 5 mg, also 10 mg Ropivacain.
Jetzt weisst du, was du spritzt, aber passt die Menge auch zu Lieschen Müller? Deshalb sind Maximaldosen eine wichtige Orientierung. Denn die 40 kg Oma und der 150 kg Preisboxer kommen bei unterschiedlichen ml-Angaben zur Grenze des nicht Toxischen! Nehmen wir mal an, üblich wären 40 ml Ropivacain 0,5% für einen axillären Plexus. das wären 40 ml x 5 mg/ml, also 200 mg. Nehmen wir einmal 3-4 mg/kg Ropivacain als Höchstdosis an, dann landen wir in der ja nicht so dramatisch hohen Gewichtsklasse von 50-66 kg. Bei den kachektischen einfach dran denken!

Im deutschen Schriftraum hat man Schwierigkeiten die Maximaldosierungen auf das Körpergewicht bezogen zu finden, was angesichts der doch beträchtlichen Schwankungen doch seltsam scheint. Oben deshalb die Tabelle aus dem amerikanischen Standardwerk… Was da allerdings wieder fehlt, ist die Berechnung von kontinuierlichen Dosen für Bupi und Ropi, da liegen wir bei 30 bis 40 mg/h.

Verschiedene Zusätze verlängern (Opioide, 0,5-1 mcg/kg Clonidin…) oder augmentieren die Wirkung oder – wie beim Adrenalin – verringern durch die begleitende Vasokonstriktion die zu schnelle Aufnahme in die Blutbahn, was die höheren Maximaldosen bei Adrenalinzusatz erklärt. Man sollte sich jedoch nicht in Sicherheit wägen, denn die Resorption ist von Gewebetyp, Perfusionsgrad, Temperatur, etc. sehr individuell abhängig.
Grundsätzlich gilt: Lokalanästhetika funktionieren, wenn man “die richtige Substanz in der richtigen Dosierung am richtigen Ort” platziert… und frei nach Winnie: “Bei Problemen mit einem Regionalverfahren, suchen Sie das Problem zuallererst am stumpfen Ende der Nadel.”
Eine blöde Merkhilfe gibt`s zum Schluss doch auch noch: “Amide haben zwei “i” im Namen – Lidocain, Bupivacain… Ester nur eines Procain, Tetracain”
Lieber Michel,
vielleicht habe ich gerade einen absoluten Knoten im Hirn aber ich bin über diese beiden direkt aufeinander folgenden Sätze gestolpert:
Ein Proton extra heisst, eine Ladung mehr im Molekül, womit unser LA eben nun ein hydrophiles weil polares/ geladenes Ende entwickelt. Wir merken uns analog zum unerfreuten Oberarzt mit Gewichtsproblem „sauer = polar = fett(löslich)“
Für mich liest sich das widersprüchlich. Der erste Satz erarbeitet warum durch freie H+ Ionen aus der Aminogruppe ein NH4+ wird, was polar und damit ja hydrophil ist.
Nur sagt doch deine Merkhilfe mit dem unerfreuten Oberarzt (schönes Bild denke an unseren Dr. M. …) dann plötzlich das genaue Gegenteil aus.
Liebe Grüße und vielen Dank für deine Mühen!