An Tag 5 läufst du erstmal in der Ambulanz mit. Anästhesie besteht zu einem grossen Teil aus Antizipation. Wenn ich vorher schon weiss, was passieren kann, dann kann ich mich vorbereiten und in der Regel passiert dann nichts. Ergo: Keine Überraschungen, besseres Outcome. Den Regenschirmeffekt kennt man: Hab ich das Ding dabei, regnet`s erst gar nicht.
Neben Allergie, Antikoagulantion, Allimentation und allgemeiner Belastbarbeit (Heute ist der internationale Tag der sinnlosen Alliteration, sorry) interessiert uns v.a. der Atemweg. Wir wissen schon, was man darin an Devices parken kann (Lamas und Tuben), wie wir diese da hinbringen (Laryngoskopie oder sanfte Hand), nun wär’s sinnvoll zu wissen, ob der Atemweg zum Device passt.
Idealerweise präsentiert sich der Atemweg einfach, flutschig, hindernisfrei und ohne Aspiration. Wenn er das aber unerwartet nicht tut, kommt man gerade am Anfang schnell ins Rudern. Damit wir abschätzen können, ob und in welchem Umfang wir Unterstützung in Form von OA oder Material brauchen, sollten wir eine Idee davon haben, was ‘normaler’ oder ‘unauffälliger Atemweg’ eigentlich bedeutet und wie man das von aussen ablesen kann.
Wir sprechen also über die Atemwegsbeurteilung im Rahmen der Sprechstunde oder Prämedikation. Und dazu brauchen wir eine Zitrone, einen Ausweis, den Blick zum Himmel und ein Gebet.
Die Zitrone steht für den LEMON-Score. LEMON ist in diesem Fall ein Akronym für:
- Look externally
- Evaluate 3-3-2
- Mallampati
- Obstruction
- Neck mobility
Im Original berechnet man einen Summenscore mit je einem Punkt pro pathologischem Itm und kommt auf Werte zwischen 0 und 10. In der Praxis lohnt die Evaluation jeder Einzelproblematik und eine Idee dazu, was man daraus an Handlungsoptionen ableitet.
Im Einzelnen:

- Look externally: Wir tun genau das. Schau dir den Patienten an. Ein Mittelgesichtstrauma oder Prellmarken im Gesicht, Kieferfrakturen und ähnliches fallen einem direkt auf. Lange und vorstehende Schneidezähne, aber auch Einzelstummel und Wackelzähne im parodontitischen Kiefer machen die Intubation nicht leichter. Ein Bart erschwert Präoxygenation und Tubusfixation. Eine grosse Zunge behindert Laryngoskopiesicht und Tubusmobilität. Syndrome können spezifische Intubationshindernisse bieten (Makroglossie bei der Trisomie 21, Blockwirbel beim Klippel-Feil-Syndrom, Unterkieferhypoplasie bei der Pierre-Robert-Sequenz, Kiefergelenksanomalien bei Treacher-Collins- oder Goldenhar-Syndrom).
- Evaluate 3-3-2. Hier geht es um Abstände, die mit ungünstigen anatomischen Verhältnissen einhergehen. Dazu gehören eine kleine Mundöffnung (unter 3-4 cm), ein Überbiss oder ein fliehendes Kinn. Zur Evaluation nimmt man die (patienteneigenen) Querfinger und misst, ob davon 3 zwischen den Zähnen, 3 am Unterkiefer zwischen Kinnspitze und Zungenbein (hyomentaler Abstand) und 2 zwischen Zungenbein und Schildknorpel (thyreohyoidaler Abstand) Platz finden. Jede Abweichung nach unten spricht (vor allem bei der Mundöffnung) für potentielle Schwierigkeiten.
- Mallampati. Der bekannteste der Airwayscores ist sicher mal der Mallampati. Einfach zu machen und zu merken. Gerade sitzen, Kopf neutral, Mund auf, Zunge raus und nix phoniert und dann nach der zu sehenden Anatomie beurteilt. Die Korrelation zum schwierigen Atemweg ist mässig bis nicht existent, aber wenn die Schnute nicht auf und die Zähne nicht auseinandergehen, kann man zumindest mal dran denken, dass es schwierig werden könnte.

S. R. Mallampati u. a.: A clinical sign to predict difficult tracheal intubation: a prospective study. In: Can Anaesth Soc J. 32(4), Jul 1985, S. 429–434
G. L. Samsoon, J. R. Young: Difficult tracheal intubation: A retrospective study. In: Anaesthesia. 42, 1987, S. 487–490
- Obstruktion – Jedes Atemwegshindernis wie Fremdkörper, Tumor, Kieferklemme beim Peritonsillarabszess, einfach eitrig aufgedunsene Tonsillen oder ähnlich Erfreuliches spricht für Probleme bei der Intubation und braucht eine Idee plus Plan B.
- Neck mobility – Der vollankylosierte Bechterewhals, der Patient nach Trauma im Stiffneck, das Kind mit Turnersyndrom, der wüste Specknacken oder der Turnsportnacken sind frühe Indikatoren auf problematische Intubationen.
Bevor unser Patient in der Sprechstunde aufschlägt, haben wir hoffentlich ein wenig Aktenstudium betrieben und gelesen, ob und wie einfach oder schwierig er schon einmal intubiert worden ist. Üblicherweise wird die Intubation nach Cormack und Lehane im Vorbefund quantifiziert nach der Einsehbarkeit der Stimmlippen und der anatomischen Strukturen (Aryknorpel/ hintere Kommisur und Epiglottis) in der direkten Laryngoskopie. Grad 1 ist voll einsehbar in die Trachea, Grad 4 wäre nur der Zungengrund ohne dass man die Epiglottis noch sähe. Gab es ein Problem hat unser Patient hoffentlich einen Anästhesieausweis bekommen, in dem vielleicht sogar ein früher erfolgreiches oder erfolgversprechendes Vorgehen dokumentiert ist. Alles was nicht C/L 1 oder 2 ist, macht CMAC/ Fiberoptik und ähnliches notwendig, solange nicht eine Larynxmaske möglich ist.

Cormack RS Lehane J. Difficult tracheal intubation in obstetrics. Anaesthesia 1984;39:1105-11.
Die Reklinationsfähigkeit ist ein wesentlicher Teil des Intubationsprozesses. Fixierte Wirbelsäulen als Bechterew-Ankylose oder Blockwirbelbildungen, Z.n. Instrumentierung und Trauma bedingen hier gegebenenfalls, dass eine Intubation auf normalem Wege nicht mehr möglich ist und wir wieder einen Plan B von LaMa über CMAC zu Fiberoptik und chirurgischem Atemweg brauchen. Quantifizieren können wir die Reklinationsfähigkeit mittels eines einfachen Tests. Der Patient legt den Kopf so weit in den Nacken wie es geht. Der Mund bleibt dabei geschlossen. Dann messen wir von der Kinnspitze entweder zum Schildknorpel (thyromentaler Abstand nach Patil, idealerweise >6,5cm) oder zum oberen Sternunrand (sternomentaler Abstand nach Savva, idealerweise >12,5-13,5cm). Wer mag, misst den Winkel zwischen Unterkiefer und Hals als Reklinationswinkel (idealerweise >80°). Alles was kleiner ist, ist im Sinne medizinischer Fachterminologie eher “blöd”.

Patil et al Anesthesiol Rev 1983:10:32 – Predicting the difficulty of intubation using an intubation gauge
Savva D Br J Anaesth 1994 Aug; 73(2):149-53 – Prediction of difficult tracheal intubation.
Al Ramadhani et al Br J Anaesth 1996 Sep;77(3):312-6 – Sternomental distance as the sole predictor of difficult laryngoscopy in obstetric anaesthesia.
Das “prayer sign” sollte man noch kennen. Diabetiker, vor allem unter Insulin und mit langfristigem Verlauf tendieren in bis zu 50% der Fälle zu einer Art der Bindegewebsfibrose, die mit eingeschränkter Gelenksbeweglichkeit einhergeht. Man bittet seinen Patienten die Handflächen wie zum Gebet vor der Brust zusammenzulegen. Viele Diabetiker schaffen es hier nicht die Handflächen und Finger plan aufeinanderzubekommen, es bleibt ein Hohlraum. Was an Fingergelenken passiert, findet sich auch als Kiefer- und Intervertebralgelenksfibrose und führt hier durch Reklinationsverlust und geringe Mundöffnung zum Intubationshindernis.
Als letztes lassen wir unseren Patienten noch mit den Zähnen knirschen und bitten ihn, den Unterkiefer so weit wie möglich nach vorn zu schieben (“vordere Schublade” – mandibular protusion test). Wo die unteren Schneidezähne über die oberen vorgeschoben werden können oder wo die Schneidezahnkanten aufeinanderstehen geht es gut, wo das nicht möglich ist, der Unterkiefer also hinter dem Oberkiefer zurückbleibt, ist mit Intubationsschwierigkeiten (“fliehendes Kinn”, “Vogelgesicht”) zu rechnen, insbesondere bei langen und vorstehenden oberen Schneidezähnen. [nach: Takenaka I, Aoyoma K, Kadoya T – Mandibular protusion test for prediction of difficult mask ventilation. Anesthesiology. 2001; 94:935]
Also Akte lesen, Patient anschauen, Mund aufmachen, zur Decke schauen, einmal beten und den Kiefer vorschieben und wir sind was den Atemweg angeht set.