BOA reboot – Basics Tag 3: Präoxygenieren

Tag drei und schon kommt so ein Batzen Physiologie. Ich sehe schon die ersten ihren Koffer packen. Bissel Schwund is immer. Reden wir über’s “Vorbelüften” – die Präoxygenation: Ziel ist, genug Sauerstoff in den Patienten zu bringen, damit er in Phasen, in denen er nicht atmet (weil wir ihn pharmakologisch daran hindern) genug Reserven hat, um keinen Schaden an Herz und Hirn zu nehmen. Auch wenn es ein schwieriger Atemweg ist. Auch wenn es technisch länger dauert. Die gute Präoxygenation ist unser backup, unsere Versicherung. Wie wir das machen, haben wir bei der Maskenbeatmung gehört: Maske dicht halten, Sauerstoff mit 8 Litern/ Minute und 100 Prozent Atemgasanteil fließen lassen und eine Weile warten.

Maske?

Warum eigentlich? Was füllen wir da für Speicher?

Die häufigste und falsche Antwort ist: Hämoglobin oder Blut. Ja, Hämoglobin ist ein Sauerstofftransporter und bindet diesen reversibel. Als Sicherheitsbackup aber eher ungeeignet. Myoglobin gäb es auch noch, das wär das ein hämoglobinähnliches Monomer statt Tetramer wie beim Hämoglobin, aber auch das reicht nicht dafür.

Warum nicht? Erstens: Der übliche Patient hat in Ruhe und Gesundheit etwa einen Sauerstoffbedarf von 3,5 ml/kg/min. Heißt, bei 70 Kilogramm Mensch wären das etwa 250 ml Sauerstoff pro Minute.

Jetzt hat man so etwa 70-75 ml/kg Blutvolumen, also der Einfachheit halber knapp 5 Liter. Darin treibt Hämoglobin in einer Konzentration von etwa 150 g/l (bei Frauen 120-160, bei Männern 130-180). Erinnern wir uns an jetzt noch an die Physiologievorlesung, dann spukt da die Hüfnerzahl rum, also die Menge an Sauerstoff in Millilitern, die ein Gramm Hämoglobin tragen kann. Das wären etwa 1,34 ml pro Gramm Hämoglobin. Zusammen kommen wir also auf einen Gesamtsauerstoffpool für den zirkulierenden chemisch gebundene Sauerstoff von etwa 1000 ml (5 l * 150 g/l * 1,34 ml/g). Das wären mit unserem gegebenen Bedarf etwa 4 Minuten… allerdings wäre unsere Sättigung in dieser Zeit zügig auf 0 abgefallen, was ja mit dem Leben eher weniger vereinbar ist. Das kann also nicht unser Speicher sein, denn die Sättigung soll ja in der Zeit bis zur Beatmung nicht unter 90% abfallen (das entspräche nur 100 ml Sauerstoff! also etwa 30 Sekunden mit Ruhebedarf). Myogobin ist mengenmässig auch eher weniger als Hämoglobin und die physikalische Lösung mit 0,0003 mal paO2 ist in üblichen Partialdrücken auch nicht wirklich geeignet.

Nebenbei bemerkt würden wir ja nicht aufsättigen, da üblicherweise die Sättigung ja schon irgendwo in den 90ern liegt, ergo kein relevanter positiver Speichereffekt auf Hämo-/Myoglobin.

Wohin speichern wir also? Gasaustauschorgan Nummer eins ist die Lunge. Die darin befindlichen Hohlräume sind in ihrer Füllung vom Druck abhängig, der sich aus der Wandspannung unserer Interkostalmuskulatur, der Zwerchfellstellung und der Compliance ergibt. Klingt kompliziert, müssen wir uns aber im Detail nicht merken.

Wir merken uns aber, dass das Zwerchfell erschlafft, sobald wir den Patienten voll relaxiert haben. Bei tiefster Inspiration (also maximaler Anspannung) würde es tiefertreten und Luft via Trachea ansaugen. Bei Ausatmung erschlafft das Zwerchfell und wandert passiv dank der elastischen Rückstellkräfte des Thorax nach oben. Bei forcierter Ausatmung mittels Bauchpresse, Anspannung der Interkostalmuskulatur, etc. würde der Thoraxraum komprimiert und wir könnten noch einen Rest ausatmen. Es gibt also ausgehend von der Atemruhelage eine Ausatmungsreserve oder ein expiratorisches Reservevolumen. Grundsätzlich bleibt immer ein Rest Luft in der Lunge zurück, den wir nicht ausatmen können – das Residualvolumen.

Nun atmet unser Patient zur Präoxygenation spontan reinen Sauerstoff, bis wir in mit Medikamenten daran hindern, indem wir ihm oder ihr Propofol, Opioide und Muskelrelaxantien spritzen. Durch die Apnoe erschlafft das Zwerchfell und die sonstige Muskulatur. Ergo geht unser Zwerchfell sozusagen in mittlere Ruhelage. Was in der Lunge bei üblicher Ausatmung (also Muskelerschlaffung) zurückbleibt ist die Summe aus Residualvolumen und expiratorischem Reservevolumen. Nun heißen Summen von Volumen üblicherweise Kapazitäten und diese hier heißt FRC oder funktionelle Reservekapazität und ist unser gesuchter Sauerstoffspeicher.

Die FRC beträgt beim normalgewichtigen Menschen mittleren Alters etwa 35 ml/kg. Wir liegen also bei 70 Kilogramm bei etwa 2,5 Litern. Setzen wir das in Relation zu unserem Sauerstoffbedarf von 3,5 ml/kg, also 250 Millilitern, dann haben wir ein Sauerstoffreservoir für etwa 10 Minuten gewonnen, nota bene OHNE, dass die Sättigung peripher fällt.

Nun ist das ein Idealwert. Schwangere und Übergewichtige haben eine geringere FRC weil von untern Speck oder schwangerer Uterus ans Zwerchfell drückt und die FRC komprimiert und damit kompromittiert. Dasselbe gilt für Aszites oder distendierte Schlingen beim Ileus. Kleinkinder, Säuglinge und Neonaten haben eine deutlich kleinere FRC, dafür einen höheren Sauerstoffbedarf. Was ihre azsgeprägte Apnoeintoleranz erklärt. Alte Menschen neigen eher zu Atelektasen, genauso wie Bettlägerige oder eben Menschen mit hohem BMI. Allen gemeinsam ist, dass der durch Präoxygenation erreichbare Sicherheitsrahmen im Vergleich zum gesunden Idealpatienten mittleren Alters deutlich schrumpft. Verbessern kann man es dann wieder durch Oberkörperhochlagerung oder PEEP. Beim ersten drückt einfach weniger Adeps den Thorax zu, beim zweiten gehen die Atelektasen vielleicht auf. Dennoch: Eile tut hier not. Die Apnoetoleranz sinkt bei allen Genannten beträchtlich in den Bereich unter 4 Minuten. Wenn wir zwischenbeatmen können, was nicht immer geht (OSAS) oder erlaubt ist (RSI, Crush-Intubation), dann erlaubt uns das eine gewisse zeitliche Ausdehnung.

Der Vollständigkeit halber sei noch der Begriff der Denitrifikation erwähnt. Die Präoxygeation lohnt nur, wenn wir wesentlich mehr Sauerstoff einblasen, als in Raumluft enthalten ist. Ansonsten fünftelt sich unsere Vorrat (wir denken mal an 21 Prozent Sauerstoffanteil in der Raumluft). Der Hauptanteil am Atemgasgemisch unter Raumluftbedingungen ist Stickstoff mit 78 Prozent. Den wollen wir auswaschen mit unserem Sauerstoff. Warum nur den? Na ja, Kohlendioxid strömt ständig aus den Alveolen per diffusionem nach und der Rest der Gase ist anteilig nicht so wirklich relevant. Entstickstoffen heißt auf schlau Denitrifikation und genau das tun wir. Messen wir die Ausatemluft, sind Werte bis 70 Prozent Sauerstoffanteil in der Ausatemluft ok, 80 Prozent sind bei der RSI oder dem schwierigen Atemweg sinnvoll. 100 Prozent gibt es da nicht, denn ein Teil wird resorbiert, etwas Kohlendioxid und Wasserdampf strömt eben nach und etwas Nebenluft hat es immer.

Jetzt wird übrigens auch klar, warum die Maske dicht sitzen muss. 2,5 Liter sind optimalerweise drin in der Lunge, 500 Milliliter Atemzugvolumen (6-8 ml/kg) enthalten einfach knapp 400 ml Stickstoff, das zerbröselt einem jedesmal die Aufsättigungsergebnisse. Also gut abdichten, dann reichen wenige (3 bis 5) tiefe Atemzüge. Die Messung der expiratorischen Sauerstoffkonzentration gelingt eh nur bei dichter Maske.

  • funktionelle Residualkapazität (FRC) = Residualvolumen (RV) + expirat. Reservevolumen (ERV)
  • FRC (Erw.) = 35 ml/kg
  • Sauerstoffbedarf (Erw., Ruhe) = 3,5 ml/kg/min
  • FRC altersabhängig & reduziert in Schwangerschaft, Adipositas, Ileus…

Das nachvollziehen zu können und in Anwendung zu bringen, ist für Tag 3 einfach grandios!




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