Nach der Erkenntnis, dass man in der Medizin dieser angeblich sozialen “Wissenschaft” fast alles grundlegend soziale und menschliche erläutern muss, nun nach der Erläuterung I ‘Integrität’ ein weiterer in institutionellen Kreisen v.a. in der dünnen Luft universitärer Kreise oft gänzlich unbekannter Begriff: die Wertschätzung.

Der Duden definiert dieses feminine Substantiv über seine Synonyme Ansehen, Achtung, Anerkennung. Dass seine Verwendung in der deutschen Sprache mit der Häufigkeit 2/5 angegeben wird mag mehr Symptom als sprachgeschichtlicher Zufall sein. Die Betonung liege auf dem E. Ich denke sie liegt auf der Interaktions- und Kommunikationsform so wie auf dem zugrundeliegenden Menschenbild und der Haltung zum Gegenüber.
Schauen wir weiter, dann schreibt die Wiki genau das: “Wertschätzung bezeichnet die positive Bewertung eines anderen Menschen. Sie gründet auf einer inneren allgemeinen Haltung anderen gegenüber. Wertschätzung betrifft einen Menschen als Ganzes, sein Wesen. Sie ist eher unabhängig von Taten oder Leistung, auch wenn solche die subjektive Einschätzung über eine Person und damit die Wertschätzung beeinflussen.” Und wer kennt das nicht, dass die zufällige Problematik im Nachtdienst das Bild eines Assistenten für Jahre unumstösslich prägt oder Kritik als ungehörige Majestätsbeleidigung missverstanden Kommunikation unmöglich macht – aber das wäre ja eher ein antonymes Thema im Sinne der Geringschätzung. Die wiederum muss man in Klinikkreisen nicht näher erläutern.
Wertschätzung hat Mitklänge im Respekt und im Wohlwollen und zeigt sich entsprechend im Umgang – offen, interessiert, zugewandt, aufmerksam, geduldig, freundlich und eben respektvoll und wohlwollend. Das kann schon der freundliche Gruss am morgen sein. Wiki schreibt weiter: “Es gibt eine Korrelation zwischen Wertschätzung und Selbstwert: Menschen mit hohem Selbstwert haben öfter eine wertschätzende Haltung anderen gegenüber, werden öfter von anderen wertgeschätzt, wohingegen Personen die zum aktiven Mobbing neigen, häufig ein eher geringes Selbstvertrauen damit kompensieren.” und findet die Quelle dessen bei Rosenbergs “Gewaltfreier Kommunikation”. Mag man sich entsprechend seinen Teil denken, wenn der bundesweit anerkannte Herr Professor X aus U wild gestikulierend auf den Studenten einbrüllt oder die 30jährige Erfahrung in der Therapie einer höchst seltenen orphan disease publikumswirksam herablassend als vom Adepten aus schierer Ignoranz nicht gewusstes Allgemeingut darstellt… wer’s braucht. Echte Autorität sieht anders aus.
Das moderne Personalmanagement macht sich den ökonomischen Nutzen der Wertschätzung zu eigen, die Produktionssteigerung, Loyalität, Innovationsfreude und positive Fehlerkultur. Da könnte man gegenüber der Funktion, dem darin liegenden Opportunismus die Nase rümpfen. Anders als Lob und Gratifikation ist Wertschätzung aber eine Haltung, die auf vielen Ebenen ausgedrückt und rezipiert wird. Lippenbekenntnisse und Lobhudelei gehen schnell nach hinten los und bewirken dann das Gegenteil. Eine reine Instrumentalisierung funktioniert nicht.
Und wer den Artikel zur Motivation gelesen hat erkennt, dass Menschen wie Söldner unkommentiert und weitgehend ohne Anleitung vor sich hinwerkeln zu lassen und nur zur Kritik zu reagieren keine Wertschätzung ist. Vernachlässigung und Gleichgültigkeit kommen in den Definitionen nicht vor. Viele “Ausbildungskliniken” glauben, Zeit in ihren erhabenen Hallen zuzubringen, sei schon Ausbildung genug und wenn nichts gelernt werde, liege es am Phlegma des Lernenden à la “Lies halt auch mal nach!”. Auch das ist keine Wertschätzung. Eher eine Fehlwahrnehmung, die die Unwilligkeit des Trägers zur Übernahme seiner ureigenen Aufgabe wirklicher Generativität zeigt und die am Auftrag vorbei gezeigte vermeintliche ‘Ressourcenschonung’ die in der Bilanz etwa mit einem verlorenen Jahresgehalt zu Buche schlägt, dann nämlich wenn der Mitarbeiter nach verunglückten onboarding nach einem Jahr wiedermal mit den Füssen abstimmt und geht. An wem liegt es dann?
Und bei der Antwort daran denken, in systemischen Zusammenhängen gibt es keine monokausale Schuld – damit meine ich, dass man sich im Team durchaus einmal fragen darf, inwieweit eine deletäre Interaktion oder eine grundlegende Fehlorientierung Teil des Prozesses war, der zu Eskalation und Ausscheiden geführt hat – v.a. dann wenn so etwas in Folge vorkommt – und welchen Anteil man selbst daran trägt. Eigene Nase und so. Sündenböcke schlachten und das übliche “Der/ Die ist halt so komisch, dumm und so…” ist menschlich schwach, akademisch unwürdig und ökonomisch Irrsinn. Und Gruppenidentität liesse sich auch über Werte und Ziele finden, statt über Ausgrenzung und Abwertung anderer Positionen. Und wenn du dich schmallippig und flüsternd zusammengekauert über einem Kaffee in Einigkeit mit anderen abfällig und halböffentlich – man will ja doch, dass alle wissen, wie blöd man den/ die findet – über den Kollegen/ die Kollegin auslässt, dann könnte es sein, dass man als Führungsperson vielleicht auf dem Holzweg bist. Einem, der die Eignung für Führungsaufgaben mehr als infrage stellt. Nicht zur Diskussion bereite Selbstgerechtigkeit ist oft genug Zeichen einer krassen Fehlposition. Ein extrem schmaler Erwartungshorizont hinsichtlich Mitarbeiterverhalten ohne Möglichkeit individueller, vom Standard ggf. abweichender Partizipation ebenfalls. Wie überall gilt, wer mit Macht, Aggression, seiner Position und Sanktionen argumentiert, hat selten eine schlüssige Argumentation noch sichere Position noch weniger eine offene Haltung zu Innovation und Prozessoptimierung. Es ist nicht 1904 und Prof. Sauerbruch ist übrigens auch schon tot. Verwaltungen tun gut daran, einen sehr genauen Blick darazf zu werfen, wer da Ressourcen verbrennt.
Der ökonomische Druck gerade an den Maximalversorgern wächst, die Personaldecke schrumpft. Man versteht durchaus dass auch Leitungspositionen unter Druck geraten und das Spannungsfeld aus “Du musst” und “Es geht nicht” auch den härtesten Chef zermürbt. Dann kann eine klare Direktive à la top-down Management gelegentlich nötig sein. Aber auch hier gilt, wenn Sätze fallen wie “Denken wir nun an die Schwangeren, Kranken und die anderen Arbeitverweigerer, die uns hier im Stich lassen.” dann hat man einige grundlegende Inhalte von Arbeitsrecht und Personalführung und eben die Wertschätzung als solche nicht verstanden. Agile Transformation? Partizipation? Integration? Gewaltfreie Kommunikation? Personalmanagement? Klingelt’s irgendwo? Die 40er haben angerufen, sie wollen Ihre Idee von Führung zurück.
Und nun wieder mal gebetsmühlenartig: Wer Wertschätzung erlebt, wer sich getragen fühlt im Team-Wir und am Erwartungshorizont geteacht, entsprechend seiner Fähigkeiten und etwas darüberhinaus ohne anhaltende Überforderung eingesetzt wird, der wird in aller Regel loyal sein und mehr für dies ‘Abteilungs-Wir’ leisten, als er muss.
Und im lesen fällt mir auf – ein Aspekt fehlt. Aktivität. Wertschätzung ist Haltung und aktiver Prozess. Um Wertschätzung auszudrücken muss man Menschen lassen können, aber auch Vertrauen und positives Bild zeigen und kommunizieren, ansprechen, nach aussen loben, Dinge anstossen, Wege öffnen, Wissen transferieren und vieles mehr… die von Trägheit und Gleichgültigkeit getragene Haltung zwischen ‘never change a running system’ und ‘net gschimpft isch globt gnug’ ist eine Form der Vernachlässugung – von Mitarbeitern und Führungsaufgabe.
Und noch ein Nachtrag, Blümchen, Schokolade und Teamessen sind nice to have, aber vor allem oberflächlich. Wenn grundlegende Akzeptanz fehlt, hilft auch das medienwirksamste epiphänomenologische Gepräge nicht. Eher im Gegenteil wird der Blumenstrauß sogar eher als Schlag ins Gesicht erlebt, wenn man das missgünstige Messer schon im Rücken stecken spürt. Und wer zu arrogant ist, seinen MA einen guten Morgen zu wünschen, kann sich seine Schokolade der Wertschätzung gleich an den Hut stecken.
Anyways. Wer liest das schon.
Immer wenn ich sowas lese denke ich es sollte selbstverständlich sein…lasst uns das besser machen, jeden Tag ein bisschen!
Tolle Arbeit, Michel danke!
Anyways. Wer liest das schon!!
Hmm, gehöre zu den Fan´s und Lesern deines Blog´s
Achtung, Respekt und Wertschätzung sind Dinge die kosten nichts, sind aber in der Verbreitung leider rückläufig!
[…] Kein Kernthema der Notfallmedizin, aber auch hier sehr wichtig – die Wertschätzung. Auf BOA ist dazu ein lesenswerter Denkanstoß erschienen: https://boa.coach/2023/06/15/fremdworte-in-der-medizin-ii-wertschaetzung/ […]