Wenn Muttis kleiner Liebling sich im Rahmen der HNO-Einleitung plötzlich zu einem muzinreichen Sprudelchen entwickelt und man in der Ferne Karma schon ‘Laryngospasmus’ rufen hört oder dank beherztem Stempeldruck auf die lose TCI-Spritze mit dem Remifentanil die Herzfrequenz in ungeahnte Tiefen sinkt, dann wünscht man sich ganz schnell ein Anticholinergikum herbei. Idealerweise hat der vorausschauende Anästhet solches schon aufgezogen in seinem Notfallbänkchen liegen. Warum? Nun Parasympatholyse macht den Rachen trocken und die Pumpe schnell und das wollen wir doch, oder?
Hauptindikationen im OP für Anticholinergika (u.a. Atropin und Glykopyrrolat): Speichelsekretion und Bradykardie.
Nun hat mich Beatrice gebeten, doch mal auseinanderzudröseln, warum es hier eine Differentialindikation für Omas, Kinder, Kardio-OP und jedes eminenzbasierte Nähkästchen gibt. Also, dröseln wir:
Erstmal 2 Bilder wie Wikipedia sie zeigt:
Atropin: ja in R- und S-Form (die Chiralität ist uns im Weiteren herzlich wurscht) und NICHT GELADEN also lipophil (tertiäres Amin für die Pharmanerds)

Glycopyrrolat = Robinul® und das kleine Plus am Stickstoff ist eminent wichtig! also geladen und damit nicht membrangängig (quartäres Amin…)

Dann bissel Pharmageschwurbel für beide Substanzen: “…ist ein kompetitiver Antagonist ohne relevante intrinsische Aktivität an muskarinergen Acetylcholinrezeptoren…” also ein Parasympatholytikum.
Und nun das erwähnte Gedrösel mit den Unterschieden:
- ZNS-Gängigkeit – Wer lipophil ist kommt im Hirn (schnell) an. Wer’s nicht ist, muss draussen bleiben. Dafür sorgt unsere Blut-Hirn-Schranke – und diesmal nicht die zwischen Chirurg und Krone der Schöpfung, sondern tatsächlich die zwischen blutigem Primärkompartiment und Neuron. Nun ist Atropin als ungeladener tertiärer Stickstoff recht lipophil, Glycopyrrolat als geladene (+) quartäre Sticktoffverbindung nicht. Ionisiert wie es nunmal vorliegt, wird das kaum was mit der Membran- und damit der BHS-Passage. Ergo: Wer nicht im Hirn ankommt macht auch keine Nebenwirkungen. Robinul® wirkt nur peripher und macht (fast) keine ZNS-Nebenwirkungen. Atropin wirkt zentral und peripher und hat damit ein Delirrisiko.
- Mx-Wirkung– unsere Wirkung findet an muskarinergen Acetylcholinrezeptoren statt. Davon gibt’s nun ein paar Subtypen (in der Regel M1-M5). Uns interessieren v.a. M1, M2 und M3. M1 liegt neuronal, zentral (und bissel im Magen) und um es mit einem lieben urologischen Kollegen kurz zu fassen: “Anticholinerg macht blöd” führt also bei Blockade zu mnestischen Störungen und Delir (siehe ZAS) durch noradrenerg-cholinerges Ungleichgewicht. M2 liegt v.a kardial und vermittelt da die frequenz- und kraftreduzierende (neg. dromo, chrono, ino) parasympathische Wirkung an Sinus- und AV-Knoten, dem Vorhofmyokard und NICHT AM VENTRIKELMYOKARD (Deshalb hilft am transplantierten Herzen ohne parasympathische Fasern Atropin so herzlich nicht bei Ventrikelbradykardie, da dann gern Adrenalin u.ä.). M3 liegt bronchial und an den Speicheldrüsen und macht dort Sekretion und Konstriktion. Am Darm macht es Motilität. An der Pupille eng. Nun kann man wie Atropin zentral (M1) und peripher (M2, M3) unselektiv blockieren – das Ergebnis ist: M1-Blockade: ZNS-Nebenwirkungen (Verwirrung, Delir, Hyperthermie), M2-Blockade: Tachykardie und bitzeli Inotropie, M3-Blockade: Sekretionshemmung, geringe Broncholyse, Motilitätsreduktion und Mydriasis. Oder man kann nur peripher wirken wie Glykopyrrolat/ Robinul® und eben nur M2: Tachykardie und M3: Sekretionshemmung, etc. vermitteln. Was uns nun noch fehlt ist die Gewichtung. Atropin wirkt stark auf die Herzfrequenz und weniger auf die Hypersalivation dafür zentral. Glycopyrrolat schlägt sekretorisch voll durch zur mehrstündigen Mundwüste, wirkt aber geringer auf die Herzfrequenz dafür länger. Und da kommt wohl die Vorliebe mancher Kardioanästhesisten für Robinul® her. Für die Halbwertszeitenjunkies: Atropin 30(-60) min, Glycopyrrolat 2-3 h. Dosierungen Atropin 0,005-0,01 mg/kg i.v., max. 3 mg und Robinul® 0,002-0,004 mg/kg i.v.. Und weil das wieder keiner rechnen will: Atropin 1/2-1 einer 0,5 mg Ampulle und Robinul® dito. Unterdosiert? Well…
So, fehlt noch was? Allgemeinkrams:
NW:
- Tachykardie (cave KHK, Mitral-/ Aortenstenose)
- Mundtrockenheit
- Bronchialsekreteindickung (cave Asthma/ COPD)
- Blasenfunktionsstörungen (cave Prostatiker)
- Hyperthermie bei Kindern in den ersten Lebensjahren (Schweiss-sekretionshemmung und zentrale Effekte)
- Delir/ ZAS (nur lipophile, v.a. Atropin)
- IOP-Anstieg (cave Mydriasis und Engwinkelglaukom)
Und nur der Vollständigkeit halber noch 2 periphere: Ipratropiumbromid ist ein quartäres Amin, also ohne zentrale Wirkung, wirkt wie Atropin stark kardial, wenig sekretionshemmend und kommt v.a. zur Bronchospasmolyse zum Einsatz.
Scopolamin vom Reiseübelkeitspflaster wiederum ist ein tertiäres Amin, damit zentralwirksam, dafür kaum am Herz, umso mehr am Magendarmtrakt – deshalb sediert es und stabilisiert wenn der Mageninhalt raus will, wo er’s in der Business Class nicht soll.
■ Atropin: zentral (DelirM1) da lipophil & peripher (TachykardieM2+++) (Sekretion M3+), HWZ 30 min, 0,01 mg/kg
Übrigens über 3 mg macht keinen Sinn mehr, da ist die Vagolyse komplett
■ Glycopyrrolat/Robinul®: nur peripher (TachykardieM2++) (Sekretion M3+++), HWZ 2 h, 0,002-0,004 mg/kg
Lieber Michael,
ich mag Deine Artikel sehr gerne und empfehle Deine Seite und speziell den PJ-Spicker häufig. Zu obigem Artikel eine Anmerkung: Du hast aus Versehen eine Null zuviel eingefügt bei der Dosierung von Atropin und Glycopyrrolat, sprich Du meinst 0,01 mg/kg bzw. 0,02 mg/kg (entpricht 10 mikrogramm/kg. Auch die in Deinem PJ-Spicker angegebene Atropin-Dosierung entspricht ca. diesen 10 mikrogramm/kg KG (10 mikrogramm x 70 Normkilopatient = 700 mikrogramm = wäre knapp anderthalb Ampullen bzw. meist reicht ja auch die Hälfte).
Deine Artikel über Neo-/ Pyridostigmin bzw. über ZAS hab ich mir heute auch noch mal reingezogen – sehr schön geschrieben. Eben ist mir dann aufgefallen, dass im PJ-Spicker bei Neostigmin die (überall oft genannte) Kombination mit Atropin empfohlen wird, während Du im Artilel ja sehr schön ausgeführt hast, warum zur “klassischen” Antagonisierung von NMDR die Kombination aus Neostigmin und Glycopyrrolat (statt lipophiles ZNS-gängiges Atropin) viel eleganter ist…
Liebe Grüße,
Barbara
ich meine die Dosierungszusammenfassung ganz unten im Artikel, weiter oben steht es gut…
LG
Danke Dir, Barbara 🙂