Der chronische Schmerzpatient ist perioperativ eine Herausforderung. Als Mensch hat er Angst, als Patient spricht er gleich mehrere ungute Themen an: die falsche und wenig zielführende Unterstellung, dass chronischer Schmerz bloss Drama und Einbildung sei, oft recht ausgeprägte Insuffizienzgefühle der wenig schmerzerfahrenen Ärzte, reichlich Unsicherheit in der Pharmakotherapie und Fehlwahrnehmungen zum Thema chronischer vs. akuter Schmerz. Und nein, nicht jeder Chroniker ist opioidabhängig.
I. Chronischer Schmerz ist nicht eingebildet.
II. Du kannst das.
Erstmal ist wichtig zu wissen, was dein Patient einnimmt. Auf die Liste gehören: periphere Analgetika, Opioide, Muskelrelaxantien inklusive Benzodiazepine, Antidepressiva und die Standards der chronischen Schmerztherapie: Pregabalin, Gabapentin, Venlafaxin, Trazodon, Duloxetin, Amitriptylin. Was man gern vergisst, sind Antidementiva, Antipsychotika und Parkinsonmedikation. Auch die wirken mittelfristig schmerzlindernd bis -prophylaktisch. Für die meisten Co-Analgetika gilt: weiter so! Bei den Opioden sollte ich die Dosis als Morphinäquivalent vor Augen haben (einfach gehaltener Rechner USZ hier und Tabellen der Spitalpharmazie USB hier) – Ausrechnen!
III. Du musst wissen was eingenommen wird.
Was für ein Schmerz ist das überhaupt? Hat dein Patient neuropathische Schmerzen (brennend, elektrisierend, nachtverstärkt) oder myogene (krampfartig, belastungsabhängig), Kapselspannungsschmerz, allgemein Tumorschmerz, viszeralen oder somatischen Schmerz oder Schmerzen im Zusammenhang mit Fraktur, Verbrennung oder OP-Wunde? Denken hilft (grosse OP, Laparotomie oder ausgedehnte Adhäsiolyse?) und Lesen (alte Arztbriefe?). In den wenigsten Fällen wird man eine Neuropathie nicht vorbeschrieben finden. Man adressiert alle vorhandenen Schmerzformen, ggf. getrennt z.B. Pregabalin und Amitriptylin weiter für die Neuropathie, periphere und Opioidanalgetika mit Ziel auf den Wundschmerz. Den Wundschmerz nicht behandeln, weil der Patient ja eine schlecht behandelte Neuropathie hat und eh ‘n Schmerzi’ ist, ist unethisch, unärztlich, unmenschlich und nebenbei ein Kunstfehler.
IV: Man kann Läuse und Flöhe haben. Neuropathieschmerz und Wundschmerz können parallel vorhanden sein. Beide brauchen andere aber eben v.a. auch parallele Therapien.
So, nu haben wir ne Idee vom Schmerztyp und der bisherigen Therapie. Dann schauen wir, wie invasiv der Eingriff wird. Wirbelsäule, Schulter, Tibiaplateau, Viszeroadhäsiolyse über 6 h= Auaaua, Blinddarm, Radiusfraktur, Nävus = well… not so aua.
V. Du musst wissen, was operiert wird.
Ausgehend vom erwarteten Schmerzniveau für Otto-Normalverbraucher designen wir jetzt ein Paket:
- Pregabalin, Gabapentin und schmerzorientierte Psychopharmaka (in der Regel Amitriptylin, Trazodon, Duloxetin und Venlafaxin) gehen weiter.
- Erwartet man ein Risiko für relevante Neuropathien nach schmerzhaftem Eingriff, ist probatorisches perioperatives Pregabalin z.B. 25-50 mg abends besonders in Wirbelsäulenchirurgie (Dekompression mit Neuroaffektion oder Infekt, nach Trauma…) und Thoraxchirurgie (Postthorakotomiesyndrom!) üblich, die Evidenz allerdings ist mehr als mau [Verret M, Canadian Perioperative Anesthesia Clinical Trials (PACT) Group. Perioperative Use of Gabapentinoids for the Management of Postoperative Acute Pain: A Systematic Review and Meta-analysis. Anesthesiology. 2020 Aug;133(2):265-279]
- Ketamin additiv ist ein häufiger analgetischer Begleiter bei Substanzabhängigkeit und hohem Opioidbedarf, so wie Hyperalgesie. Praxis und Evidenz gehen etwas auseinander. Aber ein vermuteter Nutzen auf Neuropathieinzidenz ohne relevanten Schaden mag Ansporn sein, Ketamin ins Repertoire aufzunehmen. Gabe unter Narkose reduziert psychotrope und kardiale Effekte. Uneinigkeit besteht bei der Dosis und der Einschätzung der Wirkung auf das ‘Schmerzgedächtnis’ [Meyer-Frießem CH et al. – Perioperative ketamine for postoperative pain management in patients with preoperative opioid intake: A systematic review and meta-analysis. J Clin Anesth. 2022 Jun;78:110652]
- Opioide rechnen wir in Äquivalente um und überlegen uns, was wir postoperativ geben wollen. Oxycodon/ Naloxon retardiert für den Gesunden, Hydromorphon für den Nephropathen und den, der eine Schmerzpumpe kriegen soll (siehe unten). Einzige Ausnahme Methadon. Hier ist die Kinetik so besch…eiden, dass wir additiv arbeiten, trotz allem. Und ein wenig dran denken, dass Tramal und Tapentadol duale Wirkungen haben (Opioide mit selektiver Noradrenalinreuptakehemmung (Tapentadol) bzw. Serotonin/Noradrenalinreuptakehemmung (Tramal)), also eine antidepressive Lücke lassen, wenn man sie umsetzt.
Hier machen wir mal einen Break, sonst wird es zu komplex. Und einfach:
VI: Der Hauptgrund für postoperativen Schmerz ist Untertherapie. Wohldosierte Boli im AWR (!) können helfen.
und
VII: Wer Aua hat, hört erstmal nicht auf zu atmen. Zumal nicht, wenn die Dosisfindung im AWR unter Monitoring stattfindet. Und: wer wüstes Aua hat, wird nicht verlegt.
VIIb – wer schon zuhause regelhaft 100 mg Mo-Äquivalent pro Tag p.o. einwirft braucht postOP mehr als Standarddosierungen (Mo 100 mg/ d p.o. wären etwa 14 mg Hydromorphon retard Alltagsdosis (!) also mehr als Palladon retard 2x 4 mg… plus OP-Schmerz, plus Angst… kurz, wir äquipotenzieren 100%, legen postOP die nächste Stufe an und steigern bei Bedarf.
Und jetzt denken wir mal an etwas anderes: VIII: Es gibt mehr als Opioide!
Irgendwie vergisst man ja vor lauter Angst gern, dass es abseits von Opioid und Pregabalin per os und i.v. noch andere Wege gibt, Schmerz zu blocken: Lokalanästhetika in allen Formen und Wirkdauern mit viel oder wenig Motorikwirkung – kontinuierliche Spinale, PDA, Regionale mit und ohne Katheter, Paravertebralblocks, Sakrale,TAP… so viele Möglichkeiten. Den Thalamusschmerz blockt man damit natürlich nicht, aber die nozizeptiven Anteile und einen Teil der (poly)neuropathischen Schmerzen kupiert man gut. Und nebenbei fällt vegetatives (CRPS!) weg und die Vasoplegie erleichtert die Perfusion (z.B. von gestielten Lappen, etc.). – wo immer möglich bei Schmerzpatienten peripher blockieren und zusätzliche Analgetika vermeiden. Ropi 0,2% hat wenig motorische Nebenwirkung bei guter analgetischer Wirkung! Zur Not den Operateur fragen, ob er den Katheter – gerade in der Wirbelsäulenchirurgie – selbst legen könnte. Bei Nadelangst hilft die Sedierung.
Wenn man dann einen PDK oder Schmerzkatheter an Tag 3 bis 6 zieht, sollte einem klar sein, dass der OP-Schmerz noch sehr real ist und man bis zum Ende der LA-Wirkung brauchbare Analgetikaspiegel erreicht haben muss, um vermeidbare Schmerzspitzen und die damit einhergehende Verzweiflung des Chronikers abzufedern – der Gedanke ‘trotz OP wieder Schmerz’ ist ein gefährlicher depressigener Begleiter! Und man kann und sollte Dosisreduktionsversuche machen und nicht einfach ‘Aus und Raus’! Das gilt übrigens auch für Nichtschmerzpatienten.
Zum i.v.-Lidocain als Co-Analgetikum, das den Opioidbedarf senkt und PONV reduziert (bei uns 1-1,5 mg/kg Idealgewicht maximal 100 mg als Bolus, dann 1,5-2 mg/kg/h i.v. bis 6 h postOP) hatte ich bisher eine recht positive klinsch geprägte Haltung, dieses review [Weibel S, Jelting Y, Pace NL, Helf A, Eberhart LH, Hahnenkamp K, Kranke P et al.- Continuous intravenous perioperative lidocaine infusion for postoperative pain and recovery in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2018 Jun 4;6(6)] klingt/stimmt eher skeptisch.
Was aber geben wir dann? Nehmen wir mal an, wir haben Pat. X ohne Allergien oder Organinsuffizienzen. Dann richten wir uns gern nach den WHO-Stufen – Paracetamol, Diclofenac oder Ibuprofen sind ein guter Einstieg wenn Magen, Nieren und Koronarien intakt sind. Pantozol 20 mg beim Risikopatienten mit Vorgeschichte, ASS oder Cortison lohnt. Novalgin initial als stärkstes peripheres (und etwas zentrales) Analgetikum gehört am Anfang auch dazu. Je Eingriff, desto Opioid. Ohne Niereninsuffizienz und für Opioidnaive gibt’s Targin 5/2,5 mg oder 10/5 mg alle 12 h, das ist Oxycodon mit Naloxon, letzteres damit die Magen-Darm-Passage weiter funzt. Macrogol lohnt trotzdem. Dann kommt Oxycodon 5-10 mg p.o. in die Reserve.
Mit Niereninsuffizienz gibt’s Palladon 4 bis 8 mg retard alle 8-12 h als Kapsel, das wäre Hydromorphon. In die Reserve kommt dann unretardiertes Palladon 1,3 bis 2,6 mg.
Warum mag ich das bei Nephrologen so beliebte Buprenorphin nicht? Weil’s ein Antago-agonist mit hoher Rezeptoraffinität und ceiling-Effekt (irgendwann bringt steigern nix mehr) ist und Kombinationen mit anderen Opioiden schwierig macht.
Übrigens, ich hab mal gehört, dass Patienten Menschen seien und Menschen brauchen Teilhabe und Autonomie. Sprechen wir über Analgetika, dann muss man gerade bei schwieriger Schmerzeinstellung auch an die PCA denken – patient-controlled analgesia – eine Schmerzpumpe also, bei der unser Patient sich im Bedarf selber Opioid verabreicht. Meist ohne Basisrate, mit fixer Bolusgabe und 10-20 Minuten Aussperrzeit so wie Maximaltagesdosis kann an sich nichts im Sinne von Atemdepression passieren. Extremities of age and weight trotzdem monitoren. Die Eigenverantwortung hilft gerade auch Schmerz- und Angstpatienten wenigstens etwas Kontrolle wiederzuerlangen. Allein das hilft manchmal, Schmerz besser zu ertragen. Und was tut man rein? Vieles ist möglich, am häufigsten Morphin 0,1% 1-2 mg-Boli und Hydromorphon 0,2 mg-Boli, in Deutschland auch mal Piritramid (schöne Übersicht der ÖGARI hier) Gelegentlich gibt’s Mischungen mit Ketamin oder Co-Pumpen mit Clonidin, letzteres eher intensivmedizinisch. Die Datenlage für Remifentanil bessert sich. Für Normalstation ist das aber dank Atemdepression, Thoraxrigidität und Sedierung ebensowenig geeignet.
Und wenn man so eine Pumpe benutzt, sollte man darauf achten, dass es möglichst wenig wirkmindernde Rezeptorinteraktionen gibt. Wenn man eine Opioidbasis retardiert per os gibt, sollte es idealerweise dasselbe Opioid sein wie in der Pumpe, weshalb ich Hydromorphon favorisiere. Übrigens bitte wieder nachrechnen, was man so tagesdosisseitig verabreicht, Palladon retard 2x 8mg + alle 10 Minuten 0,2 mg läppert sich. Mit Pumpe die p.o. Reserve limitieren/ terminieren!
Übrigens, Schmerzpatienten brauchen engmaschige Kontrollen. Also nicht Visite dienstags, sondern mindestens 2x pro Tag und im Teameffort.
IX. Engmaschige Kontrollen im Team
Irgendwie ist das ein atemloser Artikel geworden, aber ein paar Inhalte haben es hoffentlich zu Euch geschafft.
PS das ‘by the mouth, by the hour, by the ladder, for the individual’ wird direkt periOP etwas parenteral aufgeweicht, ist aber zügig wieder Ziel (also orale Gabe nach fixem Plan, orientiert am Stufenschema auf den Einzelnen zugeschnitten)
PPS und weil die Idee aufkam, auch Fentanyl TTS und Sublingual- oder sprayformen gehören zum erweiterten Repertoire. Aber: erstere sind in der Abgabe temperaturabhängig (Bairhugger!), letztere eigentlich dem akuten Vernichtungs- und Tumordurchbruchsschmerz ohne Leitung vorbehalten. I.v. ginge ja meist auch – bei Boli immer monitoren! Und bei Mo intrathekal an Wirklatenz (>20 min) und prolongierte Atemdepression denken (bis 24h!)
So, gut jetzt!
Ich als Patient bin froh wenn ein Arzt mich als Mensch und nicht als Objekt wahr nimmt. Mir auch mit einfachen Worten mein Schmerz und Schmerztherapie erklären kann. Fachausdrücke dei der einfache Menschen nicht verstehen kann, Fachausdrücke sind für Fachärzte die lateinische Sprache mächtig sind. Manche Ärzte sind sich dessen nicht bewusst. Ein Arzt der sich Zeit nimmt, versteht einen Patienten besser, der sich auch mit dem Patienten auseinandergesetzt, der Arzt gewinnt das Vertrauen.
Liebe Grüsse ein Patient E. K.