Wie der eine oder andere schon richtig bemerkt hat, arbeite ich seit Anfang 2019 in der Schweiz. Und das gern. Taktung, Prozessqualität und Patientenzentrierung stimmen hier einfach noch. Das Lohnplus und die Qualität der Sozialversicherung sind weitere weniger altruistische Motive. Aber es ist gerade am Anfang schwierig, sich zu orientieren… ein unvollständiger Leitfaden:
Du brauchst einen Arbeitgeber. Dazu bewirbt man sich wie üblich. Man muss sich aber klar machen, dass es typische Flaschenhälse der Ausbildung gibt, die alle brauchen. Einer davon sind die sog. A-Spitäler (hier sucht und findet ihr die Weiterbildungsstellen https://www.siwf-register.ch/). Was ist nun so ein A-Spital? Die Weiterbildungsordnung (WBO) der FMH – der Foederatio medicorum helveticorum oder Swiss Medical Association, also der schweizerischen Ensprechung der Ärztekammer, regelt die Weiterbildung für aktuell 45 Titel (https://www.siwf.ch/weiterbildung/facharzttitel-und-schwerpunkte.cfm) an anerkannten Weiterbildungsstätten. Diese gibt es je nach anrechnungsfähiger Zeit und Inhalten in den Kategorien A bis D nach den Möglichkeiten medizinischer Versorgung und der anrechenbaren Weiterbildungszeit. Ein A1-Spital ist meist eine Uniklinik, wo man mindestens ein Jahr seiner Weiterbildung obligatorisch zubringen muss, aber theoretisch auch bis zur Vollzeit kann. Heisst deshalb auch, dass es in der Regel schwierig bis unmöglich ist, sich dort von Deutschland aus direkt zu bewerben, es sei denn man forscht an spannendem oder pflegt bereits Kontakte. Man bewirbt sich also eher an Subkategorien, um dann von dort an die assoziierte Uniklinik gebracht zu werden und die bestehenden Seilschaften zu nutzen. Es ist nicht unüblich, sich bereits zu Anfang der Ausbildung für Jahr 4 oder 5 aus einer Stelle in Subkategorie an der Uni zu bewerben. Ein recht einfacher Türöffner sind Famulatur und PJ, was hier Unterassistenzzeit (‘Uhu’) heisst. Da kann man sich auch mal bewusst machen, ob man grundsätzlich herpasst.
Jeder Assistent führt für seinen zukünftigen Titel ein online verfügbares (und immer ausgedrucktes) Logbuch mit den vorgeschriebenen Leistungen, z.B. Kinderanästhesien oder Thoraxdrainagen, aber auch zur Dokumentation der Weiterbildungsgespräche, orientiert an den Vorgaben der FMH-WBO und des SIWF – dem “Schweizerischen Institut für ärztliche Weiterbildung und Fortbildung”, wo man auch alle Informationen, passenden Logs und FAQs findet.
Damit man aber arbeiten darf, muss man ein B2-Niveau einer der Landessprachen (deutsch, französisch, italienisch und rumantsch) haben und zwar idealerweise der Sprache, in deren Gebiet man arbeiten will und man muss seine ‘Arztdiplome‘ – also Zeugnisse von Staatsexamen, Approbation und Facharzttiteln bei der Medizinalberufekommision MEBEKO anerkennen lassen. Diese gehört zum BAG, dem Bundesamt für Gesundheit. Sich nicht anerkennen zu lassen, hat für Arbeitgeber und Arbeitnehmer empfindliche Folgen. Don’t! Da der Spass aktuell pro Diplom 800 bis 1000 CHF und pro Facharzttitel 1000 CHF kostet, lohnt sich die Anfrage inwieweit der Arbeitgeber die Kosten trägt. Das machen tatsächlich viele Häuser.
Es gibt einige Verbindungen, die sich lohnen. Informationen, Rechtsberatung und Versicherungen so wie Zusatzversicherungen, also Rentenkonten (die aber der Arbeitsgeber im Verfügungsfall als sog. Pensionskasse organiert und bespart) gibt es bei der VSAO – der Vereinigung der Schweizerischen Assistenzärzte und Oberärzte.
Die jeweiligen Fachgesellschaften für Anästhesie, für Intensivmedizin und Notfallmedizin sind:
- SSAPM – Swiss Society for Anesthesiology and Perioperative Medicine, früher SGAR
- SGI – Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin
- SGNOR – Schweizer Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin
Und ja, der Schweizer Intensivmediziner ist ein eigener Facharzt und damit ist die Zusatzbezeichnung “Spezielle Intensivmedizin” aus Deutschland hier für die Tonne. Sie wird in aller Regel auch nicht anerkannt.
Jeder Titel muss 5-jährlich rezertifiziert werden, d.h. ihr sanmelt CME-Punkte bei spezifischen Kongressen und Fortbildungen, die ihr auf eurem MyFMH-Konto dokumentieren müsst. Anders als in Deutschland sammelt man sehr fachspezifisch. Und ja, jede Zertifizierung kostet einige hundert Franken. Man kann das Konto ohne FMH-Mitgliedschaft führen, dann spart man Beiträge, zahlt aber mehr für Leistungen.
Man fängt hier als Assistenzarzt an. Oberarzt-Stellvertreter oder OA i.V. – “in Vertretung” sind Altassistenten im letzten Jahr oder mit besonders ausgeprägter Expertise und Weitsicht. Oberarzt sind üblicherweise alle ab Facharzt. Spitalfachärzte finden sich selten. OA mbF also “Oberarzt mit besonderer Funktion” sind eher Leitende als Funktionsoberarzt, d.h. sie übernehmen Leitungsfunktionen für spezifische Fachbereiche. Leitende Ärzte stehen wesentlichen Abteilungen vor z.B. als LA Anästhesie oder LA Intensivmedizin, Chefarztstellvertreter und Chefarzt erklären sich von selbst.
Was einem klar sein sollte, ist die Tatsache, dass die Anästhesiepflege weitreichendere Kompetenz hat, als in Deutschland. In der Schweiz führen die pflegerischen Anästhesiefachpersonen selbstständig Narkosen, intubieren, extubieren, verordnen Grundlegendes, treffen alle grundlegenden Entscheidungen ggf. in Rücksprache mit dem OA. ZVK, PDK, peripher Regionales und anderes hochinvasives ist ärztliches Gebiet. Genauso wie Katastrophen. Der OA ist eher zur In-/ Extubation und als trouble-shooter da. Wer sich übrigens schnell ein Grab als Assistent auf dem Abstellgleis schaufeln will, der gibt den herablassenden Akademiker. Gerade als Anfänger lernt man die wesentlichen Inhalte praktischer Anästhesie von der Pflege. Also: lieb sein und kollegial.
Es gibt unbestreitbar ein gewisses Schisma zwischen Deutschen und Schweizern. Einige Vorurteile von beiden Seiten machen den Alltag nicht leichter. Sprachliche Eigenheiten erschweren es manchmal zusätzlich. Allzu fordernd, ungeduldig und direkt kommt man als Deutscher nicht sehr weit. Da gehen die Ohren und Türen schnell auch mal dauerhaft zu. Der Konjunktiv und die Wahrung der Autonomie des Angefragten sind hier sehr wichtig. Höfliche Form dito. “Ich will gar nicht stürmen, aber könntest du vielleicht, wenn Du Zeit hast…”. Und umgekehrt dran denken, der Schweizer spricht durch die Blume: ein “Vielleicht sollten wir das nochmal anschauen?” kann auf deutschdeutsch auch mal “So ne Scheisse hab ich noch nie gelesen!” bedeuten… wie sagt man so schön: kontextuell wach sein.
Man mache sich bewusst, dass die Schweiz ein kleines Land ist und sich die Protagonisten der Medizin sehr wahrscheinlich persönlich kennen, sei’s weil sie zusammen irgendwo gearbeitet oder geforscht haben oder regelmässig beim WK (Reservistenübungen) zusammen durch’s Gelände robben. Soll heissen, man nimmt gern mal das Telefon in die Hand und informiert sich über zukünftige Kandidaten. Je nach Verhalten kann das gut oder schlecht sein.
Dann kommt der Lohnzettel. Üblicherweise startet man im ersten Jahr mit einer auf ein Jahr befristeten L-Kurzaufenthaltsbewilligung und wechselt ab Jahr zwei zur B-Bewilligung, ab Jahr 5 ggf. zur C-oder Niederlassungsbewilligung [B – Aufenthaltsbewilligung, C – Niederlassungsbewilligung, Ci -Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit für Drittstaatsangehörige, G -Grenzgängerbewilligung, L – Kurzaufenthaltsbewilligung, F – vorläufig aufgenommene Ausländer, N -Asylsuchende]. Wer weniger als 120.000 CHF verdient, zahlt Quellensteuer. Wer B-bewiligt ist und mehr als 120.000 CHF verdient, kann sich trotz Quellensteuer analog der deutschen Einkommensteuererklärung veranlagen lassen. Meist lohnt das. Ab C wird man ordentlich veranlagt. Abgaben für Arbeitnehmer sind üblicherweise 10,6% für AHV/ IV/ EO/ ALV, also Alters- und Hinterbliebenenversicherung, Invalidenversicherung, Erwerbsersatzordnung, Arbeitslosenversicherung. Berufsunfälle versichert der Arbeitgeber. Nichtberufsunfälle sind mitversichert, sobald man mehr als 8 Stunden pro Woche arbeitet. Krankenversicherungen richten sich nach Modell, Kanton und Höhe des selbstbezahlten Anteils, der sog. Franchise. Es gibt eine obligatorische Grundversicherung und private Zusätze in der Krankenversicherung. Es gibt keinen Standardabzug vom Lohn. Man sucht sich seine Kasse, nennt diese dem Arbeitgeber und dieser führt den Anteil vom Lohn ab. Vergleichen lohnt sich wie bei allen Versicherungen. Orientierung gibt die über das Leben konstante 13stellige AHV-Nummer die für alle sozialversichetungstechnischen Inhalte sehr wichtig ist.
Die Zusatzrenten der sog. 2. Säule sind arbeitgeberabhängig. Wenn man wechselt, muss man sie zum neuen Zusatzversicherer des neuen Arbeitgebers überleiten (lassen). Vergisst man das, landen sie unter der o.g. AHV-Nummer in Zürich und zwar bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG des Bundes. Da kann man seine Freizügigkeitsleistungen auch später abrufen und übertragen lassen.
Und zu den 3 Säulen der Vorsorge: die 1. Säule ist die staatliche Vorsorge als Existenzsicherung aus den AHV/IV-Beiträgen – die bekommt man als Frau ab 64, als Mann ab 65, bei Invalidität oder als Angehöriger im Todesfall. Die 2. Säule ist eben die berufliche Vorsorge und aktuell ab 22050 CHF Jahresgehalt obligatorisch. Sie ergänzt die 1. Säule als Lebensstandardsicherung. Die 3. Säule ist die private freiwillige Vorsorge – so kann man für die gebundene private Vorsorge als Säule 3a ein Fondskonto bis zu einem Grenzbetrag steuermindernd besparen (2022 warens 6883 CHF maximal). Hier kann man auch Geld fürs Eigenheim wieder herausholen, aber eben nur dann. Säule 3b sind andere private Vorsorgen an die man frei rankommt, aber die nicht steuermindernd sind.
Für alle Lohnzahlungen braucht man ein schweizerisches Lohnkonto. Für Grenzgänger und Wochenaufenthalter kann das manchmal schwierig sein. Die UBS zickt seltener. Türöffner ist der unterschriebene Arbeitsvertrag.
Und was verdient man so? Es ist dank kantonaler Unterschiede und berufsgebundenen Schwankungen schwierig. Die kantonalen VSAO-Ableger liefern Tarifrechner oder Tabellen (Beispiel VSAO-ZH).
Man rechne übrigens mit 48-50 Wochenstunden. Da liegt die Schwelle des Arbeitszeitgesetzes. Je universtärer, desto 70-80 Stunde, natürlich inoffiziell, sonst wird’s juristisch schwierig und monetär anspruchsvoll für den Arbeitgeber. Junggemüse hat in der Regel 5 Wochen Urlaub, Feiertage unterscheiden sich kantonal. Inzwischen wird regelhaft Überzeit kompensiert.
Ein Wort zur Niederlassungbeschränkung. Aktuell muss man bevor man in die Praxis darf 3 Jahre an einem Spital angestellt gearbeitet haben. Also auch als Facharzt nix mehr mit “kommen, kaufen, goldene Nase als Niedergelassener verdienen”.
Und ja, hohe Lebenshaltungskosten. Essen teuer, Miete teuer, Party teuer. Aber die Qualität stimmt, jede Wohnung hat ne Küche und Zugang zu Waschküche mit -maschine und Tumbler, was man hier “Tömbler” spricht und Wäschetrockner meint. Und wer in Grenznähe wohnt nutzt das billige Einkaufen in D und den Lohn in CH.
Und die Sprache – wenn Du nicht grad aus BaWü stammst und von Hause aus allemanisch sprichst, können Suugi, Abloose, Erregigsleittig am Härz, Buuchgrüsch und Siilo schon anspruchsvoll sein. Zeit hilft, gib dir n halbes Jahr, dann verstehst du das meiste. Und nein, ‘Huure-‘ und Puff sind keine Begriffe aus dem Rotlichtmillieu…
Ich kann nicht jedes Detail darstellen, aber ich korrigiere und erweitere gern auf Zuruf.
Kontotechnisch – ist die Bank YUH auch sehr zu empfehlen. Alles läuft über die App. Sitzt in Gland, und ist finanziell abgesichert über die Postfinance..
(Und trotz Post nur Minimale Gebühren)
Es gibt nur eine Kreditkarte – ganz egal ob in CH / EU genutzt..
https://www.yuh.com/download
Mein Freundschaftswerbungscode: lqc0y8
Mein Weg in den letzten 13 Jahren, Postfinance (extrem hohe Kontoführung) USB (billigere Kontoführung – 4 Kreditkarten und hohe Kosten, wenn man sie am falschen Ort nutzt) und YUH – bei der letzteren fühle ich mich am wohlsten…