
Heute wird uns unser liebster pharmakologischer Verbündeter beschäftigen: das Propofol.
2,6-Diisopropylphenol – das ist Propofol nach der IUPAC-Nomenklatur, der internationalen Nomenklatur für chemische Substanzen – letzten Endes ein Alkylphenolderivat. Das interessiert uns ehrlicherweise im Alltag relativ wenig, denn der Impact ist vergleichsweise gering. Was uns aber interessiert ist, dass Propofol in dieser seiner Konformation Eigenschaften mitbringt, die unter anderem Michael Jackson in die Abhängigkeit und ums Leben gebracht haben. Und genau diese Eigenschaften, die gute Verträglichkeit ohne relevanten Nachhang, die leichte, wohl gelegentlich sexuell gefärbte Euphorie, die sedativ-narkotische Wirkung sind die, für die wir Propofol ja dann auch einsetzen.

Fangen wir vorne an, und phänomenologisch gesprochen ist Propofol eine – gelbliche – Substanz. Und wer nun schon einmal Propofol im Schrank gesehen hat, der wird mich mit großen Augen angucken, denn das Propofol im Schrank ist weiß, wenn man es aus der Packung holt. Da liegen dann auch typischerweise 1-prozentige und 2-prozentige Zubereitungen. Die einprozentige nehmen wir für die Boluseinleitungen und Kurznarkosen, die zweiprozentige für TIVA, TCI und Intensivsedierung, einfach um Spritzen und ähnliches zu sparen (2% heisst im Vergleich zu 1% einfach halbes ml-Volumen und damit weniger Spritzenwechsel) . Was nun das an sich klare und gelbe Propofol weiß macht, ist die Tatsache, dass man es in eine Fettemulsion geben muss, nämlich Sojaöl, Glycerol und Ei-Lecithin als Lösungsvermittler, zunehmend auch mittelkettige Triglyceride (MCT), denn Propofol ist einfach sehr lipophil, entsprechend sehr schlecht wasserlöslich. Diese Emulsion, also kleinste Fetttröpfchen streut Licht ganz nach Tyndal und was wir als Menschen sehen, ist eben eine weisse und undurchsichtige Emulsion.
Propofol ist dosisabhängig sedativ bis narkotisch, aber nicht analgetisch. Das heißt, wir müssen, wenn wir Propofol verwenden, für Operationen und schmerzhafte Eingriffe eben noch ein Opioid dazugeben.
Der Wirkungsmechanismus ist die allosterische Modulation am GABAA-Rezeptor, genauer gesagt an der β3-Untereinheit desselben. Das kann man sich einmal merken, muss man aber jetzt noch nicht, für die Facharztprüfung lohnt es sich dann wieder. Wichtig ist, allosterischer Modulator bedeutet, es moduliert die ursprüngliche Wirkung des eigentlichen Agonisten am Rezeptor, also von Gamma-Amino-Buttersäure am GABAA-Rezeptor und verstärkt diese. Und wenn man sich schon was zu diesem zentralsten Rezeptor der Anästhesie merken will, dann, dass GABA an den α-Einheiten bindet und zwar β-nah, Benzos und ihre Verwandten die Z-drugs wie Zolpidem an den α-Einheiten γ-nah und die Sedativa und Narkotika wie Etomidate und eben Propofol an den β3-Einheiten. Wenn man jetzt noch weiß, dass das ein Chlorid-Ionophor ist, der über Chlorideinstrom zu Hyperpolarisation und inhibitorischen postsynaptischen Potentialen führt, weiß man schon fast alles, was relevant zum Thema wäre. Uff.
Wirkung und Nebenwirkungen sind dosisabhängig. Die wichtigste ist die Atemdepression. Weshalb für den Propofoleinsatz ein Basismonitoring Pflicht ist. Nächste wichtige Nebenwirkung ist die direkte Vasodilatation, v.a. an Kapazitätsgefässen, also an peripheren Venen und eine direkte negative Inotropie, also eine Schwächung der Auswurfleistung. Propofol knockt also die Vorlast weg und reduziert dann die kompensatorisch nötige Auswurfleistung. Heißt, hinten kommt eine Hypotonie raus und das erklärt, warum im Schock, wo wir ja sowieso schon eine Hypovolämie haben, die Verwendung von Propofol kontraindiziert ist. Etomidate hat diese downside übrigens nicht und gilt als kardiostabil.
Für Patienten auf der Intensivstation ist die Dosis und die Dauer der Applikation vor allem unter 16 Jahren relevant. Man spricht vom PRIS, dem Propofol Infusions Syndrom. Über einer bestimmten Menge, nämlich kumulativ mehr als 4 mg/kg über einen Zeitraum länger als 7 Tage bei schwer erkrankten Patienten, da kann es zu diesem spezifischen Bild kommen, unter anderem mit Leberversagen, metabolischer Azidose, Hypertriglyceridämie und Rhabdomylyse. Da das ganze bei Kindern in der Intensivtherapie häufiger vorkommt ist Propofol in Deutschland für die längerfristige Sedierung erst ab 16 Jahren zugelassen. Entsprechend sind höhere Dosierungen und längere Anwendung an sich kontraindiziert.
Was wir häufiger einmal sehen, ohne das PRIS und ohne pathologische Konsequenz, ist, dass der Urin bei Langzeitsedierten unter Propofol grünlich wird, aufgrund von Metaboliten die eben über die Niere ausgeschieden werden.
Also nochmal kurz: Kontraindikationen für Propofol:
- Hypovolämie (v.a. die ausgeprägte, relativ im Alter und beim Ileus, absolut im Schock)
- schwere kardiale Einschränkungen (da würden wir den Patienten mit dem zusätzlichen Inotropieverlust ggf. noch weiter ins Aus schießen)
- Allergie natürlich und
- relativ zu sehen Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit (da fehlen einfach ausreichende Daten und Studien aufgrund des Kollektivs, der off-label use ist aber zunehmend gängige Praxis)
Zugelassen ist Propofol für die kurzzeitige Sedierung für Eingriffe ab dem ersten Lebensmonat, für die Narkose ab 6 Monaten für die Sedierung auf der Intensivstation aber erst ab 16 Jahren, eben aufgrund des Propofol Infusionssyndroms.
Vom der Pharmakokinetik her verliert Propofol aufgrund der hohen Lipophilie und Plasmaeiweißbindung v.a. durch Umverteilung sehr sehr schnell seine Wirkung, auch der Abbau ist zügig, so dass wenig Überhänge zu befürchten sind. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa 1 Stunde. 90 Prozent werden dabei hepatisch abgebaut, davon 2/3 zu Propofol-1-Glucuronidat via UDP-Transferase und 1/3 über das CYP450-System, v.a. durch Hydoxylierung und Sulfatierung, bzw. Glucuronidierung. Etwa 10 Prozent werden unverändert renal ausgeschieden und man postuliert zusätzlich einen extrahepatischen Abbauweg, vermutlich in der Lunge, der erklärt, warum zum Beispiel in der anhepatischen Phase der Lebertransplantation weiter eine Zufuhr zum Narkoseerhalt nötig ist.
Wen es noch interessiert, die Clearance beträgt 23-50 ml/kg/min, das Verteilungsvolumen beträgt zwischen 0,2 bis 0,79 l/kg, die Plasmaeiweißbindung bewegt sich um 98 Prozent. Der Wirkbeginn wird mit 30 Sekunden angegeben, Kreislaufzeit ist aber hier ein Thema. Heisst, je älter und kränker der Mensch, je geringer der Herzindex, also die Auswurfleistung, desto länger dauert das Ganze und die Wirkdauer ist dosisabhängig etwa bei 10 Minuten.
Wenn wir nun Propofol geben, dann ist es so, dass wir individuell für unsere jeweiligen Patienten dosieren müssen. Und da gibt es mehrere Möglichkeiten. Wenn wir erst einmal keine kontinuierliche Gabe vorsehen, wie bei TIVA oder TCI, also totaler intravenöser Anästhesie oder target-controlled infusion, dann verabreichen wir Boli. Zur Narkoseeinleitung kombinieren wir das Ganze dann natürlich mit Opioiden, und gegebenfalls mit Relaxantien und Additiva wie Atropin oder Clonidin. Hier würden wir beim kompensierten Erwachsenen mittleren Alters ohne kardiale Vorerkrankung oder Hypovolämie 2 bis 3 mg/kg geben. Bei Kindern muss man das teilweise beträchtlich steigern, teilweise bis 4 mg/kg vor allem bei den Jüngeren. Grundsätzlich steigert ein hoher Sympathikotonus den Bedarf. Und je älter nun unser Patient, also bei den Betagten und kardial Vorerkrankten oder schwer beeinträchtigten Patienten oder auch Intoxikierten sinkt der Bedarf wieder auf um 1 mg/kg. Und wie gesagt, eine schwere kardiale Erkrankung oder ausgeprägte Hypovolämie stellt eine Kontraindikation dar. Wir merken uns also die “1-2-4”, 1 mg/kg bei alt und krank, die 2 (bis 3) mg/kg bei Otto Normalverbraucher und die 4+ mg/kg beim Kind.
Wenn wir nur sedieren wollen und das als Bolusgabe machen wollen, dann nehmen wir 10 bis 20 mg-weise Boli, die wir einfach eintitrieren.
Wenn wir jetzt keine Bolusgaben möchten, dann wählen wir Spritzenpumpen oder Perfusoren und als Verfahren die TIVA oder TCI, verabreichen also kontinuierlich Propofol. Wir bedienen uns bei der TCI eines Algorithmus, des Schnider-Modells. Da würden wir als Narkoseversion in Kombination mit Ultiva, das dann so mit 2 bis 4 ng/ml mitläuft bei den üblichen Patienten 4 bis 6, manchmal 8 μg/ml Propofol wählen, bei den älteren Patienten 2-4 μg/ml und bei den ganz Kranken eher wieder um die 2-3 μg/ml. Und wir würden dann mit dieser Einleitungsdosis vor dem Schnitt, also bevor es weh tut, erstmal Propofol und auch das Ultiva zurücknehmen und bewegen uns dann so im Bereich von 2 bis 2,5 μg/ml. Wenn die Operation dann losgeht, müssen wir wieder ein bisschen steigern und dann sind wir etwa so bei 2 bis 3, ggf. bis 4 μg/ml unterwegs (jeweils auch mit erhöhter Laufrate fürs Ultiva). Und wenn wir unseren Patienten aufwecken wollen, dann schauen wir uns diesen Wert an und nehmen etwa ein Drittel dieser steady-state Dosis und haben dann unsere Erwachensschwelle als Zieldosis letztenendes vor Augen. Wenn wir wieder nur sedieren wollen, dann sind wir zwischen 0,2 und 2 μg/ml in der TCI unterwegs.
Für die Perfusoreinstellung bei der TIVA würden wir zur Sedation 1 bis 4 mg/kg/h einstellen, für die Narkose fangen wir mit einem 1 bis 2,5 bis 4 mg/kg Bolus altersgestaffelt an und wenn wir dann richtig in die Operation gehen, sind wir bei 4 bis 6, ggf. 8, selten 12 mg/kg/h. Das dann individuell und vielleicht sogar unter BIS-Monitoring. Anzuraten ist hier natürlich wieder die Kombination mit Opioiden, wahlweise das gut steuerbare Ultiva, also Remifentanil.
Es gibt noch so ein paar Nebenbemerkungen zu unserem liebsten Medikament: Man sollte es langsam injizieren, denn die langsame Injektion spart Dosis. Teilweise kann man zwischen einem Viertel bis zur Hälfte der Dosis weniger benötigen, wenn man sich zum Spritzen Zeit lässt. Das blöde ist, das tut ein bisschen weh, die mittellangkettigen Fettsäuren sollen zwar angeblich ein bisschen weniger schmerzhaft sein, aber 2-3 ml 1-prozentiges Lidocain in die Vene – man sollte sie dazu stauen, sonst wirkt es nicht – das reduziert diesen Injektionsschmerz. Die direkte Mischerei, also Lidocain in die Propofolspritze, da habe ich so ein bisschen Mühe mit, weil Propofol aufgrund seines hohen Fettanteils relativ leicht bakteriell besiedelt wird und da ist es relativ gefährlich, Substanzen von Hand zu mischen oder frühzeitig zu richten. Wenn man da also etwas beimischt, dann nur in dem Moment, in dem man eben spritzt. Ich verzichte da gerne komplett drauf. Dann ist Propofol – ganz wichtig – KEIN Trigger für die MH, die maligne Hyperthermie. Es macht auch kaum Histaminfreisetzung mit Flush und Atemwegssymptomatik, insofern ein gut verträgliches Medikament auch bei multimorbiden Patienten (immer natürlich im Hinblick auf die Herzleistung!). Witzig ist, Narkose macht ja gerne mal PONV, also postoperative Nausea und Vomitus, also Übelkeit und Erbrechen, und Propofol wirkt in subhypnotischer Dosis tatsächlich antiemetisch. Ein Thema sind immer mal wieder die Allergien und Kreuzallergien. Das ist auch so ein wenig ein Streitthema, weil Hersteller und Fachgesellschaften sich dazu unterschiedlich äußern und das entsprechend immer ein wenig schwierig ist. Die Gruppe um Assehoj et. al. sieht in ihrer Studie kein relevant erhöhtes Risiko für Kreuzreaktionen mit Ei, Soja oder Erdnüssen, so dass es vermutlich analog zur Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin, dass man bei solchen Allergien problemlos Propofol geben kann. Letzten Endes liegt die Entscheidung an der Stelle und dann leider auch die daran geknüpfte juristische Verantwortlichkeit beim fachkompetenten Anwender.
Keep up the good work!
Propofol (Disoprivan®, Diprivan®, Recofol®) 1% [10 mg/ml], 2% [20 mg/ml]
- IUPAC: 2,6-Diisopropylphenol, C12H18O
- allosterischer Modulator am GABAA-Rezepor (β3-subunit)
- sedativ, hypnotisch, antiemetisch, pharyngeale Reflexdämpfung, nicht analgestisch,
- NW: Atemdepression, direkte Vasodilatation, direkt negativ inotrop
- KI: Schock, Hypovolämie, höhergradige Herzinsuffizienz, Allergie
- Applikation: ausschliesslich i.v.
- pH (MCT) 6,0-8,5
- Clearance 23-50 ml/kg/min
- VV zentral 0,2 bis 0,79 l/kg, VV steady state 1,8-5,3 l/kg
- PPB 98%
- WD 10 min, α-HWZ 2-4 min, β-Elim.HWZ 30-60 min
- Dosierung:
- Einleitung Bolus (ad TIVA): 1-2,5 mg/kg, Kinder bis 4 mg/kg
- TIVA: Sed. 1-4 mg/kg/h, Einltg. siehe Bolusgabe, Narkose 4-12 mg/kg/h
- TCI (Schnider-Modell): Sed. 0,2-2µg/ml, Einltg. 4-8µg/ml Narkose 3-6µg/ml
- Bolusgaben zur ultrakurzen Sedierung/ Maskennarkose: 10-20 mg titrierend
- LD50 386 mg/kg (i.v.)