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Michel

Benzodiazepine sind ja zunächst mal recht gut verträglich, heisst im Pharmajargon: sie besitzen eine grosse ihre therapeutische Breite. Man könnte sich also viel davon einwerfen, bevor man (in direkter Folge) daran stirbt.
Warum ist das so? Benzos wirken via GABAA-Rezeptormodulation, erhöhen letztlich die Offenwahrscheinlichkeit eines Chloridkanals und damit den Nettofluss an Chlorid über denselbigen. Am Ende stabilisieren wir damit das Membranpotential. Die Krampfschwelle sinkt, unser Patient wird ruhiger, schläft. Sind alle Rezeptoren besetzt, ist ein Endgrad erreicht, der einer theoretischen maximalen körpereigenen GABA-Wirkung entspricht – ein typischer ceiling effect. Sind alle Rezeptoren besetzt, geht einfach nicht mehr – im Gegensatz zu beispielsweise den Barbituraten übrigens. Glücklicherweise ist der ceiling effect der Benzodiazepine einer, der mit dem Leben prinzipiell vereinbar ist, vorausgesetzt man kriegt keine Atemwegsverlegung oder aspiriert.
Nun freuen sich Pharmanerds ja immer über schöne (also nebenwirkungsarme) Antagonisten (Hmmmm… Sugammadex) und auf jedem Wagen finden wir Naloxon und Anexate als Antidota (könnten wir gelegentlich das Neutrum und seine Pluralformen wieder berücksichtigen? Ich krieg bei Antidoti oder Antibiotikums immer Pickel…)… und sind wir ehrlich, das verspritzt man recht sorglos, oder? Ja nicht!
Ich durfte unlängst mal wieder als spritzenschwingendes Mäuschen einer Elektrokrampftherapie beiwohnen und ein etwas forscher Einsatz von Anexate führte zu einem Gespräch über die Nebenwirkungen von Benzodiazepinantagonisten… Neben Übelkeit (von was nu? Von der Benzointoxikation oder vom Antagonisten?) kommt es häufig zu Krampfanfällen und malignen Rhythmusstörungen, v.a im Sinne supraventrikulärer Arrhythmien. Gerade Patienten mit einer Epilepsieanamnese oder langjährigem Benzoabusus (Geriatrie!) bringen ein gesatteltes Risiko für epileptiforme Krämpfe nach Anexate mit. Der Mechanismus lässt sich kurz erklären… Anexate knockt den Basisflow an Chlorid durch Rezeptorblockade aus (genaugenommen nur Verschiebung der Dosis-Wirkungsbeziehung von GABA im Sinne einer Downmodulation, anyways) und damit die Membranstabilisierung aus, die Krampfschwelle sinkt und schon wird ein Krampfanfall wahrscheinlich. Kardialerseits ist soweit ich das sehe keine direkte Rezeptorinteraktion der Auslöser, sondern vermutlich die überschiessende sympathikotone Reaktion durch den akuten Wegfall zentralnervöser Dämpfung (analog den akuten ACS bei Opioidabhängigen unter hochdosiertem Naloxon).
Penninga et al. haben da ein wenig zusammengefasst, was es zu sagen gilt: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26096314/ [Penninga et al. – Adverse Events Associated with Flumazenil Treatment for the Management of Suspected Benzodiazepine Intoxication–A Systematic Review with Meta-Analyses of Randomised Trials. Basic Clin Pharmacol Toxicol. 2016 Jan;118(1):37-44. doi: 10.1111/bcpt.12434. Epub 2015 Jul 28. PMID: 26096314.]
Wer übrigens zu viel Benzos im Rahmen einer Hirndrucktherapie erhalten hat oder eine Mischintoxikation mit Anticholinergika oder Stimulantien hat, profitiert auch eher nicht von Anexate… den schiessen wir damit dank Sympathikusüberaktivität eventuell Richtung Einklemmung, ZAS, Hyperthermie oder ähnlich unerfreulicher Folgeerscheinungen…
Also weniger ist mehr und titrieren ist besser als reanimieren. Zieht euch das Zeug in NaCl auf, also z.B. die übliche Ampulle à 0,5 mg in 5 ml auf 10 ml und arbeitet fein titrierend mit halben Millilitern (0,05 mg-weise) symptomorientiert bis zur suffizienten Eigenatmung, bzw. Pharynxkontrolle. Blitzewach muss nicht sein, schon gar nicht auf die orthopädische Art mit “1 Patient 1 Ampulle”. Über 1,0 mg lieber nochmal nachdenken, übliche Dosen liegen bei 0,25 bis 0,5 mg.
PS “Aufwecken” eines Patienten mit Anexate nach Propofolnarkose ist keine lautere Idee… der Mechanismus von Propofol ist ein anderer (via β3-subunit beim Propofol vs. spezifische Benzobindungsstelle an α/γ)… das ist pharmakologischer Bullshit…