Up yours… Kaudalanästhesie

Der Mensch hat einen Wirbelkanal. Üblicherweise befindet sich darin ein in mehreren dem anatomisch Gebildeten bekannten Hüllen eingebettetes Rückenmark. Segmental geordnet treten daraus paarige Nervenwurzeln aus und verflechten sich zu peripheren Nerven. Nun kann man in verschiedenen Tiefen mit unterschiedlichen Nadeltypen und Lokalanästhetikazubereitungen Formen der sogenannten rückenmarksnahen Regionalanästhesien, i.e. Spinal- oder Epiduralanästhesie herbeiführen.

Zielort bleiben die austretenden Nervenwurzeln. Einmal direkt (SPA) und einmal per diffusionem (PDA). Grob gesagt stecken wir unsere Nadel entweder in den Subarachnoidalraum oder peridurales Fett-, bzw. Bindegewebe, also den Epidural-, gleich Periduralraum. Vermeiden wollen wir dabei, in das Myelon selbst zu stechen, um bleibenden Schaden zu vermeiden. Nun kommt die Spinalnadel dem Myelon näher als die Tuohynadel des PDK, schlicht, weil die dem Myelon aufliegende Pia mater nunmal die nächste Schicht unterhalb des Subarachnoidalraumes ist. Folgerichtig stechen wir da, wo kein Myelon mehr zu erwarten ist, also beim Erwachsenen unterhalb L2, typischerweise bei L3/4 oder L4/5, also ober- und unterhalb des Schnittpunkts der gedachten Linie zwischen den Cristae iliacae. Auch der Periduralraum ist unterschiedlich weit – lumbal etwa 6 mm, thorakal etwa 3 mm und cervical etwa 2 mm. Er erstreckt sich vom Foramen magnum bis hinunter zum Hiatus sacralis, also der Öffnung des knöchernen Wirbelkanal auf Höhe des sacrococcygealen Übergangs. Der Vorteil der Regionalen liegt auf der Hand – bessere Analgesie, damit Vermeidung sympathikotoner Reaktion und Reduktion der oder Verzicht auf Narkotika und Opioide. Gerade bei Frühchen oder Neugeborenen führt die damit weniger tiefe Anästhesie zu weniger postoperativen Apnoen, früherer Spontanatmung, rascher Extubation und hämodynamischer Stabilität.

Aufgrund der wesentlich feineren Anatomie v.a. des kleinen Kindes sind die üblichen Formen der rückenmarksnahen Regionalanästhesie mit medianer, intertransversaler Punktion gefährlich, wenn auch möglich. Hinzu kommt, dass die Höhe des Conus medullaris altersabhängig unterschiedlich zu liegen kommt und die Schnittlinie von Cristae und Wirbelkanal wachstumsbedingt beim Kind nicht bei L4 liegt. Der Conus medullaris, der in der Regel beim Erwachsenen bei L1 (bei 10% bei L2, insbesonders bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe) zu liegen kommt, liegt beim Neugeborenen bei L3, der Durasack selbst endet beim Neonaten bei S4, beim Jährling bei etwa S2. Die Intercristaelinie liegt tiefer als L4, beim Neugeborenen etwa bei L5/S1.

Man würde sich ein weniger invasives, anatomisch gut erreichbares und mit wenigen Risiken und Komplikationen behaftetes Verfahren der rückenmarksnahen Regionalen beim Kind wünschen. Und da kommen wir nach viel Vortext nun glücklich beim Thema an: der Kaudalanästhesie.

Letztlich ist die Kaudalanästhesie eine sakrale Periduralanästhesie des Kindes bis zum Schulkindalter und unter 25 kg für Eingriffe unterhalb des Bauchnabels. Zum ersten Mal beschrieben hat das Verfahren Meredith Campbell im Jahr 1933 [Campbell MF – Caudal anesthesia in children. J Urol 1933; 30: 245-250] Gemäss Arbeitskreis Kinderanästhesie ist die Kaudale das häufigste Regionalverfahren (Yaster/ Maxwell 1989, Ecoffey 2010 80% der RA als Kaudalblock) beim Kind und sehr komplikationsarm (Giaufre 1996 0,1%, Ecoffey 2010 0,12%) bei einfacher Erlernbarkeit.

Punktiert wird durch den Hiatus sacralis. Unser Kind liegt dazu von kundiger Hand fixiert bäuchlinks mit angezogenen Beinchen und damit lumbal hyperkyphosiert oder in ebendieser forcierten Embryohaltung auf der Seite. Wir suchen uns die Spinae iliacae posteriores superiores und bilden entlang der distal liegenden Mittellinie ein gleichseitiges Dreieck mit den auf Höhe des sakrococcygealen Überganges liegenden Cornua sacralia.

Hier findet sich eine bindegewebig verschlossene Öffnung, eben der Hiatus sacralis. Mit entsprechenden 22-25G Kaudalnadeln punktieren wir unter unserem auf den Cornua liegenden Finger im 90° Winkel durch die Haut, senken die Nadel auf 35-45° ab und schieben nur wenig vor. Knochenkontakt finde ich eher ungeeignet zur Orientierung. Ein Klicken verdeutlicht den Eintritt in den sakralen Periduralraum. Oft genug ist dieses nicht spürbar! 2 Dinge sind wichtig, sich klarzumachen.

  • Subkutane Schwellung = Fehllage der Nadel zu oberflächlich vor dem Hiatus.
  • Wir spritzen grosse Volumina im Vergleich zum Liquorvolumen (4 ml/kg beim Neonaten), weit mehr als z.B. für eine Spinalanästhesie (SPA etwa 0,2 ml/kg Bupi 0,5%) und der transhiatale Weg zum Subduralraum ist kurz! Etwa 0,7-1,5 cm ab Hautniveau trennen uns beim Neugeborenen von einer totalen Spinalanästhesie mit allen Folgen für Neurologie und Kreislauf. Aspiration ist angesichts des Gefäßreichtums im Bereich des periduralen Fetts angeraten, allerdings ist vermutlich bei feinen Nadeln und kleinen Volumina die Aussagekraft gering.

Wir spritzen Bupi 0,25%, Bupi 0,125% oder Ropivacain 0,2%, letztere zwei haben nur einen geringen motorischen Effekt, eignen sich also zumindes beim wachen Kind nicht zur isolierten Regionalen, da auch Reststrampeln die OP empfindlich stört.

Die Mengen liegen bei 1,0 +/- 0,25 ml/kg, also zwischen 0,75 (L1) und 1,25 (Th7) ml/kg – je proximaler, desto mehr, ergo 0,75 für die untere Extremität und 1,25 für die Hernie. Im Zweifel tut’s die gut merkbare Menge von 1 ml/kg und ein Maximum von 25-30 ml. Im ambulanten Rahmen sollte man ohnehin bei etwa 1 ml/kg bleiben. Kommt es zur Intox, die bei Kindern dank enzymatischer Unreife und Proteinmangel wahrscheinlicher ist, an LipidRescue 20% denken: 1,5 ml/kg Bolus, dann 0,25 mg/kg/min kontinuierlich.

Die Wirkdauer liegt etwa im Bereich einer Stunde.

Auch hier gilt, nur unter Anleitung des Erfahrenen, bzw. zum Wohl des Kindes nur durch den der es kann. Überhaupt Kindeswohl: Die Kombi aus ausreichende Prämedikation mit 0,5 mg/kg bis maximal 10 mg Dormicum rektal oder oral und topischer Anästhesie mit EMLA an der Einstichstelle in alters- und gewichtsadaptierter Menge etwa eine Stunde vor der Punktion ist ein einfaches und risikoarmes Verfahren, um Stress für alle Beteiligten zu vermeiden. Anwesenden Eltern bei invasiven Verfahren steh ich ziemlich skeptisch gegenüber.

Und noch ein Nachsatz. Der Ultraschall mit Linearschallkopf oder Hockeystick ist ein sehr gutes Medium zur Identifikation von Hiatus und Nadellage gerade bei den ganz kleinen und bei den minder tastbaren etwas Propperen.




Ein Kommentar

  1. „Aspiration ist angesichts des Gefäßreichtums im Bereich des periduralen Fetts ABGERATEN, allerdings ist vermutlich bei feinen Nadeln und kleinen Volumina die Aussagekraft gering.“

    Gemeint ist wahrscheinlich:
    „Aspiration ist angesichts des Gefäßreichtums im Bereich des periduralen Fetts GERATEN, allerdings ist vermutlich bei feinen Nadeln und kleinen Volumina die Aussagekraft gering.“

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