Morbus Meulengracht

Prinsengracht, Keizersgracht, Herengracht, Meulengracht… nein, wir sind nicht in Amsterdam und es geht auch nur indirekt um die dort üblichen seelenberuhigenden aber gesundheitsschädlichen Tätigkeiten… zumindest geht es aber um die Leber, genauer gesagt um den Morbus Meulengracht, einen erblichen (autosomal-rezessiven) UDP-Glucuronyltransferasemangel, der mit einer Hyperbilirubinämie einhergeht. 3-10% der Bevölkerung sind betroffen. Glucuronyltransferasen gibt es verschiedene, betroffen ist hier das 1A1-Isoenzym

Da mit weniger UGT die Glururonidierung verlangsamt erfolgt, steigt folgerichtig das indirekte Bili (also das nicht wasserlösliche) an. Hämolyseparameter, Stauungsparameter und Transaminasen sind hierbei normal. Krankheitswert hat der Morbus Meulengracht primär nicht. Die Restaktivität ist mit um 30% in der Regel ausreichend. Einzig fallen eventuell gelbe Skleren auf. V.a. ist der Morbus Meulengracht eine vergleichsweise harmlose Differentialdiagnose zu anderen Formen der Gelbsucht. Unspezifische Symptome werden beschrieben. Bisher unerkannte Träger können auffallen, wenn Stress, ungewohnte körperliche Aktivität oder Medikamentengabe durch Mehranfall von Häm oder Enzymblockade zu einer dann klinisch apparenten Gelbsucht führen.

Es wird empfohlen auf Paracetamol zu verzichten. Warum? Nun wir erinnern uns an den Abbauweg des Paracetamols. Primär wird Paracetamol glucuronidiert und sulfatiert. Ein normalerweiser kleiner Anteil erfährt aber Giftung. Hier entsteht via Cytochrom P450 N-Acetyl-p-Benzochinon, ein toxischer Metabolit, der normalerweise wiederum mittels Gluthation entgiftet wird und bei Erschöpfung der Reserven zu Leberzellnekrosen führt. Fällt also der Theorie nach die Glucuronidierung aus, kommt es zu einem Shift, der mehr Paracetamol über CYP450 shuntet, ergo steigt theoretisch das Risiko der Leberzellnekrose unter Meulengracht und Paracetamol. Und die klinische Relevanz? Unklar.

Für Irinotecan (ein Zytostatikum), Indinavir und Atazanavir (Proteaseinhibitoren der HIV-Therapie) bestehen Kontraindikationen, da sie das Enzym blockieren und die toxischen Spiegel mangels zügigen Abbaus zu nicht toxischen Metaboliten ansteigen können.

Diagnostische Leberpunktionen sollten der Vergangenheit angehören.

Und Therapie? Ist an sich nicht nötig. Theoretisch könnten Induktoren eine Verbesserung bringen, im Gespräch sind Phenobarbital und Rifampicin.

Und da das ja nu so wenig an Info ist, noch ein wenig Hämstoffwechsel:

Hämoglobin ist ein Tetramer aus 4 Globinketten, Häm und Eisenionen und so ein Häm ist im Wesentlichen ein Porphyringerüst… nicht dass ich das jetzt so aus dem FF hinmalen könnte… nun der LK Chemie ist ne Weile her…

Nun egal, also Hämoglobin wird phagocytiert, der Proteinanteil abgespalten und zerlegt, das Häm selbst wird dank Hämoxygenase aufgebrochen, von seinem Eisenion getrennt, und zu Biliverdin (“grün”) gespalten, dann durch die Biliverdinreduktase zu Bilirubin (“orangerot”) umgesetzt. Selbiges wird dann, da es nicht wasserlöslich ist in Hepatozyten mittels Glucuronyltransferase glucuronidiert, also löslich gemacht und verabschiedet sich dann via Gallegänge Richtung Darmlumen, wo es ausgeschieden wird oder ein wenig im enterohepatischen Kreislauf läuft. Da wasserlöslich wird ein Teil renal eliminiert.

Aber interessante Hyperbilirubinämien gibt`s ein paar. Im Gegensatz zu den Porphyrien sind sie (bis auf Criggler-Najjar II) eher harmlos und bis auf einen leicht gelblichen Hautton klinisch inapparent.

Das Dubin-Johnson-Syndrom führt auch zu einer diesmal konjugierten Hyperbilirubinämie, allerdings nicht über einen Enzymmangel, sondern über einen autosomal-rezessiv vererbten Anionentransporterdefekt, der die Abgabe des Bilirubins in die Gallenkanälchen behindert. Spannend ist das ganze, weil es zu lysosomaler Speicherung des konjugierten Bili in Hepatozyten kommt, was die Leber schwarz verfärbt.

Criggler-Najjar I und II sind ebenfalls mit einer Verminderung der UDP-Glucuronyltransferase vergesellschaftet, Typ I hat faktisch keine nachweisbare Aktivität, unbehandelt sterben diese Patienten früh an einem Kernikterus, Typ II hat etwa 10% Restaktivität, durch Phenobarbitalinduktion lassen sich Ikterus und Pruritus reduzieren.

Das Rotorsyndrom führt auch zu einer (kongjugierten) Hyperbilirubinämie, diesmal wieder über eine Organo-Anionentransporterstörung (MRP-2), die eine Abgabe des konjugierten Bili in die Hepatozyten reduziert. Auch hier wieder autosomal-rezessiv vererbt und ohne wesentliche Klinik ausser einem (nicht pruriginösen) Ikterus.

Allen dreien ist (wie beim Meulengracht) gemein, dass die Leberenzyme sonst unauffällig sind. Heisst, eigentlich sind unsere Patienten etwas gelblich, sonst haben sie nichts.




Ein Kommentar

  1. Schöner Artikel, vielen Dank dafür! Hab ihn leider erst jetzt gelesen. Als selbst betroffener hab ich natürlich auch Nachforshcungen angestellt. Hier ein paar interessante Artikel, laut denen die leichte Hyperbilirubinämie aufgrund antioxidativer Wirkung ein reduziertes kardiovaskuläres Risiko mit sich bringen und auch das Risiko für kolorektales Karzinom reduzieren. Man muss ja auch mal was von seiner “Modifikation” haben 😉

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23701650

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17000907

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28300459

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