Ultivaunsitten

…der mit dem groben Hammer?

Alle lieben Ultiva. Kurzwirksam, keine schädlichen Metaboliten, in der Regel organunabhängig, da via Esterasen metabolisiert. Kaum Nebenwirkungen… ja bissel Bradykardie, bissel Thoraxrigidität… aber das ist ja nicht schlimm, oder? Ultiva ist ein geiles Zeug, aber wie bei allem nur in kontrollierter Anwendung. Ein paar Geschichten:

In einer grösseren Klinik meiner Vergangenheit wurden Neurointerventionen durchgeführt. Anästhesiologischerseits in ITN mit einem “Dubelibaum” von Perfusoren – 4 Stück, Propofol und Remifentanil im TCI-mode, Noradrenalin und Mivacurium gewichts- und zeitadaptiert. Alles kontrolliert via Arterie und dem üblichen Elektrokram. Nach dem Start und Erreichen der Flughöhe macht man bei einer solchen “Balkennarkose” mit geraden Linien im Protokoll die folgenden 4 bis 6 Stunden effektiv nichts ausser atmen, verdauen, Bildschirm beobachten, TOFfen, blinzeln und gelegentlich die Spritzen wechseln, wenn der Perfusor trötet. Das erinnert stark an den Ratschlag eines über die Jahre etwas desillusionierten Kollegen zu fast jeder Fallvorstellung von ASA 1 bis 6… “Machsch halt Narkos. Isch eh immer dasselbe.” – klingt nicht mehr nach balancierter Narkose oder antizipatorischer Narkoseführung auf der Basis langjähriger Erfahrung, oder? Eher so nach Facharzt für Leichtnarkosen.

Dann gibt es die Boliker. Menschen, die jeden noch so vermeidbaren Narkoseführungsfehler mit wilden “Aus-der-Hand” Boli im Bereich weit jenseits der empfohlenen Dosis “behandeln”. Ganz einfach nein. Remifentanilboli sind zugelassen für die Intubation Erwachsener, so wie die Intubation von Kindern. Die Dosisempfehlungen unterscheiden sich für Deutschland und die Schweiz, zwei Werte unterscheiden sich jedoch nicht: die Maximaldosisschwelle von 1 µg/kg und der Verabreichungszeitraum von MINDESTENS 30 Sekunden für einen Bolus von 0,5-1 µg/kg. 100 µg aus der Hand im Schuss, weil der Patient hustet, sind als fehlgeleitete Djangoanästhesie abzulehnen. Das ist nicht cool, das ist fahrlässig. Und by the way “off-label use” – heisst, wenn du`s verkackst, hängst du vollumfänglich alleine für die Folgen. Denn off-label use muss vorab aufgeklärt werden und das dürfte im Bezug auf Ultivaboli eher selten geschehen. In Deutschland heisst das im Schadensfall dann grob fahrlässig, so mit allem, also so mit Beweislastumkehr und so. Nur so am Rande. Mit erneutem Blick auf den Beipackzettel fällt einem auf, das die Starre der Skelettmuskulatur als “sehr häufig”, die Bradykardie als immerhin “häufig” genannt wird. Eine fulminante Thoraxrigidität kann nach so einem martialischen Bolus auch mal gern die Beatmung unmöglich machen und die Asystolie folgt der Bradykardie leider nicht so selten, wie man es sich wünscht. Hektik, die das Anästhesistenherz und seine Koronarien nicht brauchen. Eine kontinuierliche Gabe wird so zumindest im schweizerischen Compendium erwähnt und über 5 bis 8 Minuten vor Intubation empfohlen. Explizit wird dort auch erwähnt, dass “die Inzidenz einer Muskelrigidität mit der Dosis und der Geschwindigkeit der Verabreichung” zusammenhängt. Anästhesisten planen und reagieren kontrolliert. Aus der Hüfte mit der Schrotflinte auf ne Mücke schiessen ist nicht die elegante Art, derer wir uns so gern befleissigen. Stichwort Antizipation und Narkoseführung.

Zu guter Letzt noch ein Wort zu den Empathielosen. Remi ist ein Opioid. Ein brauchbar starkes welches. Damit kann man gut operieren und die Atmung und den Hustenreiz gut dämpfen. Aber wenn man es abschaltet, wirkt es im Gegensatz zu Mo oder (Su)Fenta eben nicht noch ne halbe Stunde nach – Ultiva aus heisst für unseren Patienten 3-5 Minuten später: Schmerz an und zwar big time, full throttle! Ein mitfühlender Anästhesist gibt also vermutlich schon zur Einleitung ein gerütteltes Mass Fenta o.ä. dazu oder titriert es am Ende langsam dazu, so dass der Patient im Aufwachraum oder der Schleuse nicht als himmelschreiendes Schmerzpaket erwacht… gerade für Ultiva gilt: Post-/perioperative Analgesie beginnt immer schon intraoperativ!

Nicht falsch verstehen, ich finde Ultiva gerade im ambulanten Rahmen wunderbar, man muss sich nur der Grenzen und Risiken bewusst sein und nebenbei bemerkt auch in der Lage sein, die Komplikationen, die man verursacht zu behandeln. Das wiederum ist nicht immer der Fall.




5 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag. Ich muss zugeben, dass ich bei der Einteilung of Boli zur kontinuierlichen Infusion dazugeben haben. Insbesondere wenn es hal mal wieder schnell gehen sollte. Meist so 40-60 Mikrogramm. Denke, da ist wirklich sehr auf die Dosis zu achten. Hatte in diesen Dosen (noch) keine NW. Werde mein Handeln aber überdenken nach diesem Text. Danke!

  2. Danke für diesen sehr erfrischenden Beitrag! Die Diskussion um ein zusätzliches Opioid zur Einleitung ist bei uns regelmäßig Thema. Bei Kurzeingriffen ok. Da wirkt das (Su)Fenta o.Ä. am OP-Ende noch… Bei erwähnten Langstreckenflügen ist der zusätzliche (Su)Fenta-Initialbolus m.E. pharmakologischer Quatsch, da die Dauer der OP die HWZ des Medikamentes um ein Vielfaches übersteigt. Daher: Einleiten mit Remi-Perfusor, keine Boligaben, rechtzeitige Analgesie vor OP-Ende (z.B. Piritramid)!

  3. Nicht zu vergessen ist bei Ultiva die postoperative Hyperalgesie. Der Dipiverbauch ist zumindest Anekdotisch mit Ultiva wesentlich höher. (Groẞe Endoprothetik mit Ultiva als Unterstützung an bestimmten OP Stellen, ansonsten Sufenta…)

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