ARDS

Corona ist in aller Munde, und in mancher Leute Rachenabstrich. Umschiffen wir die Details zum Thema Krönchenvirus indem wir uns dem ARDS widmen.

ARDSadult respiratory distress syndrom… auf quasideutsch das hypoxisch-hyperkapnische Lungenversagen wurde in der Form erstmals Ende der 60er Jahre von Ashbaugh und Bigelow in Lancet beschrieben.

1994 folgte die Fassung der amerkanisch-europäischen Consensuskonferenz (AECC) – damals noch mit der Einteilung nach ALI (acute lung injury) und ARDS-Graduierungen um schliesslich 2011 in der aktuell gebräuchlichen Definition als sog. Berlin-Definition (denn da traf man sich anno 2011) zu landen.

Schauen wir uns die Voraussetzungen für die Diagnose ARDS an, benötigen wir ein Mass für das erfolgte Lungenversagen. Letztlich dient die Lunge dem Gasaustausch – also CO2 raus, O2 rein. Wie viel Sauerstoff in der Blutbahn ankommt, sagt uns die BGA, bzw. dort der Sauerstoffpartialdruck. Nun ist die Aufnahme von Gasen in die Blutbahn (physikalisch wie hämgebunden) vom Umgebungsdruck und den Gasfraktionen abhängig. Da sich am selben Patienten die Umgebungsdrücke nur marginal ändern, betrachten wir das, was wir beeinflussen können und das ist die Sauerstoffzumischung bzw. der Sauerstoffanteil der Atemluft. Wir können also zunächst nur die FiO2 beeinflussen, den Atmosphärendruck bekommen wir sozusagen “frei Haus”. Den PEEP betrachten wir an anderer Stelle.

Der Horovitz-Index setzt nun also den Partialdruck (in mmHg!) mit der FiO2 in Beziehung.

Horovitz-Index: paO2/FiO2 [in mmHg]

Der Lungengesunde mit seinen etwa 100 mmHg bei Raumluft (FiO2 0,21) kommt also auf passable knapp 480 mmHg als Index. Normwertig ist dabei alles deutlich über 350. Gemessen wird das ganze eigentlich bei einem PEEP oberhalb von mindestens 5 cm H2O

Nach Berlin-Definition umfasst das ARDS

  • akuter Beginn (innert 1 Woche)
  • bilaterale Infiltrate in Röntgen Thorax und/oder CT Thorax
  • Ausschluss einer kardialen Ursache, insbes. des Linksherzversagens (meist via Echo)

und eben eine Einschränkung der Oxigenierung gemessen am Horovitz-Quotienten (auch Oxygenierungsquotient), nach dem das ganze in 3 Subgruppen aufgeteilt wird

  • “mildes ARDS” – Index >200 bis <300 mmHg
  • “moderates ARDS” – Index >100 bis 200 mmHg
  • “schweres ARDS” – Index < 100 mmHg

In der Regel geht das ganze mit einer Globalinsuffizienz einher, heisst die Patienten retinieren auch CO2 mit den entsprechenden metabolischen Folgen hinsichtlich Sympathikotonussteigerung, pH-Abfall und Neurologie.

Fragen wir uns, was dabei passiert, so lassen sich im Wesentlichen drei sich überlagernde Phasen abgrenzen:

  • exsudative Phase (Woche 1)
  • proliferative Phase (ab Tag 3)
  • fibrotische Phase (Ende 1. Woche)

Dreh- und Angelpunkt ist die alveolo-kapilläre Membran, also die Trennschicht aus kapillärer Wand und Alveolenwand, damit die Diffusionsbarriere für unsere Atemgase. Ob die Schädigung nun primär (aus der Lunge selbst, z.B. Pneumonie) oder sekundär ist, ob das Agens von aussen (via Luftweg und Alveole) oder über den Blutweg kommt (Bakterientoxine, etc.) mag uns zunächst mal egal sein. Es gibt kurz viele Auslöser, die Endstrecke ist letztlich dieselbe. Es kommt zu einer Schädigung der alveolokapillären Membran und der angrenzenden Zellen.

Integritätsverlust an Membranen geht eigentlich immer mit Permeabilitätssteigerung einher. Es kommt zur Exsudation von eiweissreichem Sekret in die Alveolen – ein nichtkardiales intraalveoläres Lungenödem also. Fällt diese Protein aus, entstehen zähe Belege, sog. hyaline Membranen. Man spricht von “fluid lung”

Pneumozyten gibt es vor allem 2 Gruppen… flache des Typs I bilden die Alveolenwand. Der Typ II bildet Surfactant. Letztere gehen bei einer Schädigung zunehmend ein, gleichzeitig wird der Surfactant a) verdünnt (durch die Exsudation) und b) nicht mehr nachproduziert. Surfactantmangel führt über die Zunahme der Oberflächenspannung zum Alveolenkollaps, also zu Atelektasen.

Die ablaufende Mediatoraktivität aufgrund der Zellschädigung lockt Immunzellen, vornehmlich neutrophile Granulozyten und führt durch chemotaktische und lytische Mediatoren zu weiterer Permeabilitätssteigerung und Gewebsschädigung mit nun interstitiellem Ödem. Die Diffusionsbarriere nimmt zu. Gleichzeitig kommt es zur Thrombosierung von Gefässen durch die parallele Gerinnungsaktivierung via Komplementsystem, die Lungenperfusion nimmt ab, der Gefässwiderstand steigt – entsprechend nimmt die pulonalarterielle Hypertonie zu. Die Totraumventilation nimmt zu.

Der zunehmende bindegewebige Umbau und Zellmigration führen zu einem weiteren Verlust an Gasaustauschfläche, d.h. einem zunehmenden Rechts-Linksshunt (intrapulmonal!), zu einer Zunahme der Difusionsstrecke, zur zunehmenden Verlegung der Lungenstrombahn mit deutlicher Erhöhung der Strömungswiderstände im kleinen Kreislauf und zum eindrücklichen Complianceverlust.

Die Endstrecke bildet also die Trias aus Hypoxie, Hyperkapnie und Rechtsherzbelastung. Letztere verstärkt sich ausserdem noch durch den nur noch zum Teil funktionealen Euler-Liljestrand-Mechanismus, also der hypoxischen pulmonalen Vasokontriktion. Dieser autoregulatorische Mechanismus versagt mit fortschreitender Schädigung, was dann wiederum den Rechts-Links-Shunt verstärkt. Mit zunehmendem Alveolenverlust wird der zur Verfügung stehende Ventilationsraum immer kleiner, aufgrund dieses Volumenverlusts spricht man von einer “baby lung”.

Klinisch nimmt die subjektive Atemnot zu, Patienten beklagen Dyspnoe und zunehmende Erschöpfung, die Atemfrequenz steigt, die Sättigung fällt. Aufgrund der Sympathikusaktivierung finden sich eher Hypertonie und Tachykardie, was wiederum den O2-Bedarf steigert. Zunehmend finden sich feuchte Rasselgeräusche und Zyanose. Im Verlauf kommt es – auch je nach Auslöser zu weiteren Organschädigungen primär der Niere.

Die Auslöser sind zahlreich, primäre sind v.a. Pneumonie, Aspiration, Inhalation von Rauchgas und Lungenkontusion im Rahmen von Traumata, sekundäre sind die Sepsis oder allgemein systemische Infektionen, Embolien (Fett, Palacos, Fruchtwasser!), Toxine, Pankreatitis, Abstossungsreaktionen nach Transplantation, Transfusionsreaktion (TRALI) und viele mehr.

Die Inzidenz schwankt um 10/100000 Einwohner, die Letalität ist trotz moderner Therapie je nach erreichtem Grad hoch bis sehr hoch (bis 70%).

Jetzt will der geneigte Leser wissen, was man tun kann… Primum nihil nocere… der Verlauf ist allein schon schwierig genug. Unser Patient ist ein rohes Ei. Fehlentscheidungen führen leider oft auf einen fatalen Pfad.

Die Therapie der Grunderkrankung bereitet den Boden für eine erfolgreiche Restitutio. Aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Ursachen ersparen wir uns den Tiefgang. Auf die Lungenersatzverfahren, also Membranoxygenatoren oder allgemein ECMO muss ich in einem anderen Artikel eingehen, das sprengt den Rahmen ebenfalls. Auch den vasodilatativen Inhalativa (NO, Iloprost…) will ich einen eigenen Artikel widmen.

Die Beatmungstherapie folgt einigen wichtigen Grundlagen:

Allgemeiner Konsens ist eine lungenprotektive Beatmung:

Initial mag die NIV (nichtinvasive Ventilation) möglich sein, um ein moderates Ödem unter Kontrolle zuhalten. Cave: gerade bei infektiöser Genese ist die Aerolisierung von Erregern kritisch zu betrachten! Mit invasiver Beatmung ist auf die Vermeidung von Baro-/Volu- und Atelektrauma zu achten.

Was heisst das?

Atelektatische Bereiche haben dank Surfactantmangel eine niedere Compliance. Dadurch wirkt sich eine Volumenbelastung/ Druck v.a. im Sinne einer Überdehnung der bereits eröffneten Bereiche aus (“Luftballonaufpustenproblem”). Zur Wiedereröffnung und Gasumverteilung braucht es Zeit und anliegende konstante Drücke (PEEP). PEEP verhindert weiterhin den Kollaps bereits eröffneter Bereiche. Ein zyklischer Wechsel von Kollaps und Wiedereröffnen von Atelektasen führt über die wirkenden Scherkräfte zu Gewebeschädigungen und Mediatorfreisetzung (“Atelektrauma”), die den progredienten Gewebeschaden unterhält. Deshalb ist ein stabiles Offenhalten der Alveolen essentiell.

Ergo: lungenprotektive Beatmung:j

  • Pressure mode (milde peak-Drücke, dezelerierender Flow)
  • Tidalvolumen 6(-8) ml/kg, dabei sind ggf. untypisch Höhe Atemfrequenzen zu wählen (cave Totraumventilation/ Pendelluft)
  • Druckziel unter 30 cmH2O
  • I:E = 1:1 Ein längeres Expirium erlaubt das Abatmen und verringert das Risiko des AutoPEEP, eine längere Inspirationsphase erlaubt eine bessere Oxygenierung und Umverteilung zugunsten “langsamer” Bereiche.
  • passender PEEP (FiO2-adaptiert, Stichwort Resorptionsatelektase). Oft begrenzt der notwendige Maximaldruck den Einsatz adäquater PEEPs

permissive Hyperkapnie

An welchen Werten orientieren wir uns zur Therapiesteuerung?

paO2 vs. FiO2 – den Horovitz-Index haben wir genannt. Wann schreiten wir aber ein und exazerbieren unsere Beatmung? Ein Grenz-paO2 8,0 kPa (60 mmHg) entsprechend 90% SiO2 sollte möglichst nicht unterschritten werden.

Beim paCO2 sind wir etwas laissez-faire, wir sprechen von permissiver Hyperkapnie. Limitierend ist hier allerdings die metabolisch relevante pH-Veränderung. Grenz-pH 7,2.

Eine restriktive Volumentherapie verringert das Risiko einer permeabilitätsbedingten Verschlechterung der pulmonalen Situation. Die Gradwanderung zwischen Kreislaufstabilität und Lungenprotektion ist oft schwer zu bewerkstelligen. PiCCO u.ä. helfen beim Entscheid.

Lagerungstherapie

Auch der Gesunde hat unter maschineller Beatmung inklusive Relaxierung atelektatische Bereiche in den dorsobasalen Lungenabschnitten. Umso schlimmer beim ARDS-Patienten. Nun erinnern wir uns, dass sowohl Perfusion als auch Ventilation generell der Gravitation folgend von oben nach untern zunehmen. In Rückenlage werden also nicht belüftete (“Atelektase”) Bereiche besser perfundiert. Wollen wir also, dass diese Bereiche weniger perfundiert werden (und damit der Rechts-Links-Shunt fällt), so müssen wir besser belüftete Bereiche nach untern bringen, damit sie besser perfundiert werden und damit mehr Sauerstoff ins Blut bringen. Die Kindergartenvariante ist die 30°-Oberkörperhochlagerung beim Übergewichtigen. Aus dieser Kategorie sind wir beim ARDS-Patienten lange raus, hier spielen wir “down with the good lung” in Rechts- oder Linksseitenlage und als Ultima ratio der Lagerungstherapie Bauchlage. Um effektiv zu sein, muss die Lagerungstherapie um 16 h durchgehalten werden. Mit allen kritischen Folgen für Kreislauf, Zugängen, Dekubitus, Corneae u.ä….




3 Kommentare

  1. “Auch den vasodilatativen Inhalativa will einen eigenen Artikel widmen.”
    Hattest du schon Gelegenheit, an der Widmung zu arbeiten? 😉

    Ansonsten haben wir momentan relativ viele intubierte Covidpatienten auf unserer Intensivstation, die in gewisser Regelmäßigkeit Bauchlagerungszyklen durchlaufen. Leider ist hier – je nach Oberarzt – die Indikationsstellung für einen erneuten Zyklus etwas undurchsichtig.
    Macht es Sinn, das v.a. vom Horovitz-Index abzuleiten? Oder von der Dynamik ihrer Klinik? (d.h. Eskalation der Beatmungsinvasivität -> neuer Zyklus)

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