Bierblock, i.v. Regionale (IVRA) [inkl. pdf]

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Michel

Auch wenn der Titel den Drang auslöst, dümmliche Witzchen zu reissen, so ist die von August Bier 1908 vorgestellte Technik zur i.v. Regionalanästhesie auch 2019 noch weitgehend unverändert in Gebrauch. August Bier war Chirurg und zeichnet auch für die ersten erfolgreichen Versuche zur Spinalanästhesie auf deutschem Boden verantwortlich. Sich deren Protokolle duchzulesen lohnt schon aus rein humoristischer Sicht (“starker Schlag mit dem Eisenhammer gegen das Schienbein…”). Aber wir schweifen ab.

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Kurz gefasst erfolgt die i.v. Regionalanästhesie nach Bier durch die Injektion eines Lokalanästhetikums in das blutarme (durch Hochhalten entlang der Gravitation oder Auswickeln) venöse Stromgebiet einer Extremität. Mittels Tourniquet wird ein frühes Abströmen (und damit kardiale und neurologische Nebenwirkungen) vermieden.

Da das Tourniquet aufgrund des hohen Drucks zügig schmerzhaft wird, wird in der Regel eine Doppel-Tourniquet-Technik angewandt, so dass zunächst ein proximales Tourniquet aufgeblasen wird und nach Anschlag der Lokalanästhesie ein distal (und damit im bereits anästhesierten Bereich) gelegenes stattdessen aktiviert wird.

Prinzipiell ist die IVRA (i.v. Regionalanästhesie) für kurze und wenig invasive Eingriffe (unter 1 Stunde) an den oberen wie unteren Extremitäten geeignet. Aber aufgrund der oftmals schwierigen Anlage der Tourniquets am Oberschenkel, so wie dem damit steigenden Risiko für ein zu frühes Einschwemmen vom LA in die Blutbahn mit entsprechenden Nebenwirkungen hat sie sich vor allem für die obere Extremität (Ringbandspaltung, Handgelenksganglion) durchgesetzt.

Kontraindikationen

Die wesentlichen sind: Ablehnung des Verfahrens durch den Patienten, Allergie gegen Lidocain oder Prilocain,  Crush-Verletzungen der Extremität/ höhergradige Frakturen/ schwere Gefässverletzungen (Ödembildung und Kompartmentsyndrom), lokale Infekte, pAVK/ allgem. Durchblutungsstörungen der Extremität, AV-Shunts an der betreffenden Extremität, Sichelzellanämie (aufgrund der mit dem Tourniquet verbundenen Hypoxämie der Extremität und konsekutiver Thrombosegefahr), anatomische Aberationen, die eine Tourniquetanlage erschweren (u.a. hochgradige Adipositas) Eingriffe über 45-60 Minuten Dauer, “Venenlosigkeit”…

Ablauf

  • Anlage Standard-Monitoring (EKG, NIBP, Sättigung…)
  • Notfallmedikation einsatzbereit (Adrenalin, Volumen, Benzodiazepine, ggf. LipidRescue)
  • Anlage zweier Venülen je an der zu operierenden Extremität zur IVRA und andernorts (meist an der anderen Hand) zur Injektion von Analgetika, Sedativa oder Gabe von Notfallmedikamenten bei Kreislaufreaktion, Allergie, o.ä. (Die Gabe von 0,5-1 mcg/kg Fentanyl oder 1-2 mg Dormicum erleichtert die Vorbereitungen). Für alle Eingriffe an der oberen Extremität, auch distale Eingriffe, eignen sich primär die Venen des Handrückens, am Bein Venen am oder distal des OSG.
  • Hochhalten & Auswickeln der Extremität von distal nach proximal mit Esmarchbinden (Gummibandagen)
  • Anlegen des Doppeltourniquets und Aufblasen beider Tourniquets (erst distal, dann proximal) auf einen Wert 50-100 mmHg oberhalb des systolischen Drucks. Anschliessend wird der distale Tourniquet wieder abgelassen.
  • Entfernen der Esmarchbinde.
  • Injektion der errechneten Menge an Lokalanästhetikum
  • nach 25-30 Minuten Aufblasen des distalen Tourniquets (nun ja im anästhesierten Bereich) und (dann erst) Ablassen des proximalen Tourniquets (ein früheres Umsetzen bei Schmerzäusserung des Patienten ist möglich, 10 Minuten sollten jedoch eingehalten sein). Ein vollständiges Ablassen beider Tourniquets, also eine Freigabe in den systemischen Kreislauf darf keinesfalls vor Ablauf von 30 Minuten nach Injektion erfolgen!
  • Entfernen der Venule an der zu operierenden Extremität.
orange: relativer Bereich möglicher Eingriffe, Aufbau analog VBM-Tourniquet

Dosierungen

Aufgrund ihrer geringen Toxizität (bei versehentlicher verfrühter Einschwemmung), ergo hohen therapeutischen Breite sind Prilocain und Lidocain die am häufigsten verwandten Lokalanästhetika. Bupivacain und Ropivacain bieten zwar eine längere Wirkdauer und frühere Anschlagszeit, ihre Akkumulationsneigung im kardialen Reizleitungssystem und damit einhergehende schwerwiegende (letale) Nebenwirkungen machen sie aber im Rahmen der IVRA uninteressant.

Gemäss Herstellerinformationen (und Heck/ Fresenius) werden folgende Maximaldosen empfohlen:

  • Lidocain 300 mg, bzw. 3-4,5 mg/kg (www.compendium.ch)
  • Prilocain 400 mg, bzw.  5(-6) mg/kg (6-12 J, >12 J “individuell” – http://www.compendium.ch)

Üblicherweise werden 0,5%ige Lösungen verwendet. Es ergeben sich folgende Maximalvolumina:

  • max. 60 ml Lidocain 0,5%
  • max. 80 ml Prilocain 0,5%

In der Praxis werden wohl gerade an der unteren Extremität mit Oberschenkeltourniquet diese Volumina häufig überschritten (“30-50 ml Lidocain 0,5% obere Extremität, 70-100 ml untere Extremität”). Anzuraten ist dies nicht. Vielmehr kann es sinnvoll sein die Tourniquets je nach Befund und Lokalisation eben auch an den proximalen Unterarm oder grundsätzlich weiter distal anzusetzen und damit das durchströmte Venenbett zu reduzieren.

Ketorolac/ Toradol als Additivum kann den Lidocainbedarf halbieren, so wird die Verwendung von Lidocain 1,5 mg/kg + Ketorolac/ Toradol 0,15 mg/kg als ausreichend empfohlen (statt 3 mg/kg + 0,3 mg/kg).

Die Anschlagszeit für Lidocain beträgt etwa 5 Minuten, ebenso schnell verliert es nach Eröffnen des Tourniquets seine Wirkung. Nach 30 Minuten führt bei Lidocain ein Tourniquetversagen i.d.R. (es gibt dennoch Berichte von Krampfanfällen nach über 60 Minuten Fixationszeit und solche unter korrekt liegendem Cuff!) nicht mehr zu wesentlichen systemischen Nebenwirkungen. (Prilocain 11 Minuten vs 7 Minuten)

Nebenwirkungen

Am bedrohlichsten ist im Rahmen eines Touriquetversagens die systemische Toxizität der Lokalanästhetika. Hier sei auf den Artikel zur LA-Intoxikation) verwiesen. Erwähnenswert ist, dass die geringste Dosis für einen Krampfanfall unter IVRA für Lidocain bei 1,4 mg/kg lag, für Prilocain bei 4 mg/kg! 70 % des injizierten LA verbleiben im Gewebe. Mit Eröffnen des Tourniquets geschieht das Abströmen schneller. Insgesamt ist eine Tourniquetinsuffizient an der unteren Extremität wesentlich häufiger. Bewegung fördert den Abstrom, weshalb eine Ruhiglagerung der Extremität empfohlen ist.

Prilocain führt zwar über seinen Metaboliten Orthotoluidin zu einer Methämoglobinämie. Diese ist aber innerhalb der üblichen Dosisgrenzen für Erwachsene kaum bedenklich. Therapeutisch wären Methylenblau 1-2 mg/kg, Toluidinblau 2-4 mg/kg und Ascorbinsäure 2 mg/kg möglich. In der Literatur finden sich keine Berichte zu schweren Nebenwirkungen oder Todesfällen im Zusammenhang mit IVRA mit Prilocain. Prilocain ist aufgrund seiner geringen Toxizität und hohen therapeutischen Breite bei vergleichbarer Anästhesiequalität gegenüber Lidocain Mittel der Wahl für die IVRA.

Sympathikotone Reaktionen aufgrund des Ischämieschmerzes/ Tourniquetschmerzes sind möglich, direkte Druckschäden von Nerven wurden beschrieben. Unter 2 Stunden Ischämiezeit sind Crush-Syndrome der Muskulatur und Gewebeschäden selten.

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