TCI… Modelle und Dosierungen

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TCI steht für ‘target-controlled infusion’ – Letztlich geht es um eine an Verteilungsmodellen orientierte prozessorgesteuerte Dosierung von Medikamenten zur Einstellung von Wirkspiegeln entweder als Plasmakonzentration oder Wirkortspiegel.

An sich ein wundervolles Medium hin zur modernen Anästhesie, leider (oder Gottseidank?) muss man sich einmal mehr mit den Grundlagen der Pharmakologie und vor allem der Pharmakokinetik (“was macht der Körper mit der Substanz”) beschäftigen.

Nehmen wir einmal Substanz A an. Spritzen wir A, so verteilt sie sich zunächst in der Blutbahn, wird dort verdünnt und erreicht nach einiger Zeit eine bestimmte Plasmakonzentration. Diesen Verteilungsraum (letztlich das Plasmavolumen) bezeichnen wir als “zentrales Kompartiment” (V1).

Nun kommt es in der Folge a) zu Umverteilungsprozessen und b) zur Elimination (v.a. hepatischer oder allgemeiner enzymatischer Metabolismus und renale Elimination).

Die Umverteilung in periphere Kompartimente (also z.B. Gewebe wie Muskeln oder Fett) erfolgt im Sinne der Vereinfachung in ein stark perfundiertes, schnelles peripheres Kompartiment (V2) und ein langsames – weniger gut durchblutetes – peripheres Kompartiment (V3). Diese Umverteilung erfolgt exponentiell abnehmend im Sinne einer Kinetik erster Ordnung – ist also abhängig von der Konzentration (z.B. “50% pro halbe Stunde”).

Die Elimination erfolgt meist über sättigbare Enzym- oder Transportsysteme (“Niere”) und folgt deshalb einer Kinetik 0. Ordnung – ist also linear (“15 Moleküle pro Sekunde”).

Clearance wird im Allgemeinen als das Volumen bezeichnet, das pro Zeiteinheit von einer Substanz gereinigt wird.

Wenn wir davon ausgehen, dass es keine Elimination gibt, so lässt sich im steady state ein Gesamtverteilungsvolumen Vd für A errechnen als rein theoretischer Wert ohne isoliertes anatomisches Korrelat und es gilt:

Vd [l] = Gesamtmenge Substanz [z.B. mg]/ Plasmakonzentration Substanz [z.B. mg/l]

Das bedeutet auch, je größer das angenommene Verteilungsvolumen, desto größer muss die verabreichte Dosis für eine gegebene Plasmakonzentration sein.

Beschrieben werden diese Vorgänge mithilfe von Verteilungs- oder Eliminationskonstanten. Für unser Beispiel sind dies K12 K21 K13 K31 K1e Ke0 und K10. Dabei bedeutet Kyz die Konstante für die Verteilung von Substanz A aus dem Kompartiment Vy in das Kompartiment Vz. Kz0 bedeutet die Eliminationskonstante für die Elimination der Substanz A aus dem Kompartiment Vz.

Zu allem Überfluss hat unsere Substanz A ja auch noch eine gewünschte Wirkung. Diese erfolgt am Wirkort e (wie “effector site”). Die Verteilung dorthin erfolgt mit der Konstanten K1e, die Elimination von Substanz A vom Effektorort mit Ke0. Ke0 ist aber auch Maß für die “Wirkeffektivität”. Genaugenommen erscheint die Nomenklatur etwas ungeeignet, beschreibt ke0 doch eigentlich die Elimination vom Wirkort, soll jedoch die Transition von V1 über ein zu vernachlässigend kleines Volumen Ve an den Wirkort beschreiben. Vereinfacht kann man sagen: ke0 ist die Transitionskonstante für die Wirksubstanz von V1 an den Wirkort. Je höher also die ke0, desto schneller die Einstellung einer Wirkkonzentration, desto direkter die Wirkung eines Bolus, desto geringer die notwendige peak-Plasmakonzentration.

ke0 korreliert mit der time to peak. Die Konzentration am Wirkort hinkt der Konzentration in der Blutbahn hinterher. Nach einem Bolus steigt der Plasmaspiegel steil an und fällt dann exponentiell ab, während die Konzentration am Wirkort ansteigt und dann verzögert abfällt. Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Konzentration am Wirkort wird als time to peak bezeichnet. Je kürzer diese ist, desto schneller erreicht ein geringer Konzentrationsanstieg einen Folgeanstieg am Wirkort – heißt: je kürzer die time to peak, desto geringer die nötige Bolusdosis.

ATMEN! EINEN SCHLUCK KAFFEE NEHMEN… BILD ANSCHAUEN.

kompmod

Und was hat das nun mit TCI zu tun? Nun, der Prozessor hat das Modell und die dazugehörige Pharmokologie intus und berechnet uns die benötigten Boli bei Induktion und Dosisanpassung, bzw. die Flußraten im steady state.

Wichtig dabei –  es sind “open-loop” Modelle und Syteme. Die Effektorkonzentration ist ein theoretischer Wert. Es finden keine Messungen derselben statt! Die “Rückkopplung” erfolgt also nach wie vor rein klinisch durch den Anästhesisten, der die Zielkonzentration den Gegebenheiten anpasst (ggf. anhand von BIS o.ä.). Es handelt sich um Modelle mit theoretischen Annahmen – diese Modelle tragen nur in einem bestimmten Rahmen individuellen Besonderheiten Rechnung! Bei Untersuchungen zur Genauigkeit der Konzentrationsvorhersage wurden beträchtliche Abweichungen von bis zu 30 Prozent zwischen errechneter und realer Konzentration gezeigt. Die gängigen Modelle bewegen sich etwa im Bereich von 10-20% Abweichung und korrespondieren dabei etwa mit der Abweichung zwischen Wirkspiegel und Endtidalwert für die modernen Volatila. Nur mal so am Rande 🙂 Medizin ist eben doch keine exakte Wissenschaft.

Was wir eingeben müssen sind Größe, Gewicht, Geschlecht und Zielkonzentration.  Dann wählen wir die gewünschte Plasmakonzentration Cp oder Effektorkonzentration Ce (t für target in Cet). An Bord unseres Perfusors befindet sich je nach Programmierung und verwendeter Substanz ein passendes Modell der Pharmakokinetik. Wir betrachten hier die Modelle für Propofol nach Marsh und Schnider und das Modell für Remifentanil nach Minto.

Marsh – Das ältere Modell nach Marsh diente der TCI mit Propofol. Es basiert auf einem 3-Kompartimentmodell und ermittelt das Verteilungsvolumen linear allein anhand des Körpergewichts. Die Halbwertszeiten sind fix. Das Modell nach MArsh erscheint dabei wenig individell und aufgrund höherer Bolusvolumina und Laufraten kommt es gerade bei älteren Patienten häufiger zu hämodynamischen Beeinträchtigungen.

Schnider – Das neuere Modell nach Schnider dient der TCI mit Propofol. Es basiert auf einem 3-Kompartimentmodell und verwendet ein fixes zentrales Verteilungsvolumen, das nebenbei bemerkt deutlich niedriger liegt als bei Marsh (4,3l fix vs. 16l/70kg). Zusätzlich errechnet es aufgrund von Alter, Gewicht, Größe und Geschlecht  unterhalb eines BMI von 36 verlässlich die lean body mass, so wie das periphere Verteilungsvolumen, die Clearance, Elimination und Time to peak. Die individuelle Anpassung der Parameter, das geringere zentrale Verteilungsvolumen (V1) und die kürzere time to peak führen zu geringeren Spitzenspiegeln und geringeren Laufraten im Vergleich zum Marshmodell und bedingen so die bessere hämodynamische Stabilität der TCI nach Schnider bei gleicher klinischer Wirksamkeit.

Minto – Das Modell nach Minto dient der TCI mit Remifentanil. Es basiert auf einem 3-Kompartimentmodell und verwendet Alter, Größe, Gewicht und Geschlecht als Ausgangsdaten. Einheit der Zielkonzentration sind ng/ml. Aufgrund seiner sehr kurzen HWZ und konstanten kontextabhängigen HWZ (esterase-metabolisiertes Opioid!) mit etwa 3-4 Minuten darf durchaus die Frage aufkommen, ob hier eine TCI notwendig scheint, da auch mit einer gewichtsbasierten Dosierung eine adäquate Analgesie ohne wesentliche hämodynamische Einflüsse möglich ist.

  • TCI Propofol (Model n. Schnider) in µg/ml; keine Zulassung unter 16 Jahren!
    • Einleitung 4-8 µg/ml innert 60-120 Sekunden, cave: deutlich geringere Dosen bei hämodynamisch instabile Patienten!
    • Narkoseerhalt 3-6 µg/ml
    • Sedierung 0,2-2 µg/ml
    • Erwachen typischerweise bei 1-2 µg/ml
  • TCI Remifentanil (Model n. Minto) in ng/ml
    • Einleitung/ Narkoseerhalt 3-8 ng/ml (invasive Eingriffe bis 15 ng/ml)
    • Spontanatmung unzureichende Datenlage!

Zum Vergleich dieselben Daten als konventionelle TIVA

  • Propofol
    • Initial 1-2,5 mg/kg langsam i.v. (bei Kindern bis 4 mg/kg)
    • Narkoseerhalt 4-12 mg/kg/h (Roberts-Schema “10-8-6”)
    • Sedierung 0,5-1 mg/kg, kont. 1-4 mg/kg/h
  • Remifentanil
    • Initialbolus 0,5-1 µg (in Deutschland aufgrund der Neigung zu Bradykardie/ Asystolie, resp. Thoraxrigidität nicht empfohlen!)
    • Narkoseerhalt 0,05-0,5(-1) µg/kg/min (6 ng/ml TCI entsprechen etwa 0,25 µg/kg/min bei 40y, 70 kg, männlich)
    • Analgesie unter erhaltener Spontanatmung 0,025-0,1 µg/kg/min

 

Cp/Ce(t) sind berechnete Werte, sie beruhen auf Modellen und müssen nach klinischen Gesichtspunkten der individuellen Situation angepasst werden

Propofol – Marsh/ Schnider

Remifentanil – Minto

Stark übergewichtige Patienten bedingen im Schnider-Modell aufgrund der Formel eine paradoxe Abnahme der lean body mass, hierdurch kommt es zu einer höheren Fehlberechnung der Clearance, womit die Bolusdosen und Laufraten unverhältnismäßig steigen. Übliche Pumpen erlauben deshalb keine Patienten mit BMI über 42.

V1 ist fix im Schnider-Modell im Cp-Modus und linear gewichtsabhängig bei Marsh, weshalb Bolusdosen bei Schnider im Cp-Modus nicht gewichtsadaptiert sind – deshalb empfiehlt sich der Cet-Modus in den meisten Fällen unter Schnider. Bei Marsh kommt es häufig zu überschiessenden Boli aufgrund des hohen V1 bei Übergewichtigen.




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