Flüssigkeitsbedarf?

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Man sollte pro Tag 2-3 Liter Wasser trinken. So liest man es hin und wieder in gängigen Zeitschriften. Aber perioperativ oder auf der Intensivstation ist VolumenTHERAPIE eben auch verordnungspflichtig, was schreiben wir also auf, wonach steuern wir die Volumengabe.

Zunächst einmal die Frage, womit die Volumengabe erfolgen soll. Kristalloide, Kolloide, Humanalbumin, FFP, Erykonzentrate?

Kristalloide/ Kolloide – der Trend geht aktuell zu den Kristalloiden. Nach manipulierten Studien zu HAES hat das Allheilmittel unter den Kolloiden schwer an Beliebtheit eingebüßt. Neben Einfluß auf die Gerinnung und möglichen allergischen Reaktionen haben vor allem schädliche Effekte auf Nierenfunktion und outcome bei kritisch Kranken dazu geführt, dass v.a. HAES im klinischen Alltag in Deutschland nur noch im akuten Blutungsnotfall und mit begrenzter Dosis zum Einsatz empfohlen wird. Andere Kolloide werden oft aufgrund ihres Allergiepotentials nur zögerlich eingesetzt. Ein Vorteil der Kolloide ist sicherlich ihr deutlich höherer Volumeneffekt – so verbleiben bei Kristalloiden nur etwa 20 % intraluminal wirksam.

Humanalbumin – als quasi ideales Kolloid (körpereigen, wenig nephropathisch, keine Immunreaktion, kein Einfluß auf Gerinnung und Zellfunktion, guter Volumeneffekt) wäre Humanalbumin gentechnisch hergestellt eine hervorragende Alternative. Der hohe Preis und die geringe Verfügbarkeit begrenzen hier jedoch den Einsatz.

FFP – Fresh frozen Plasma enthält alle Gerinnungsfaktoren zumindest theoretisch in natürlicher Aktivität. Zellbestandteile wurden abzentrifugiert. Wie bei EK sind Infektionsgefahr und immunologisch vermittelte Reaktionen möglich. Die Geister streiten sich auch hier über das Für und Wieder. Hauptindikation sind die Massivtransfusion aus hämostaseologischer Sicht und aufgrund des guten Volumeneffekts auch der Volumenmangel. Zunehmend werden FFP als Volutherapieutika aber verlassen.

Erythrozytenkonzentrate – Erythrozytenkonzentrate verbieten sich als reine Volumentherapie. Der hohe Preis, das theoretische Infektionsrisiko mit HIV/ Hepatitis, eine das outcome quoad vitam verschlechternde Immunmodulation, allergische Reaktionen auf Fremdeiweiß, TRALI (transfusion-related acute lung injury) als immunologisch vermittelte Schädigung und TRACO (transfusion-related cardiac overload) sind die Hauptargumente gegen Erythrozytenkonzentrate als Volumenersatz. Besteht jedoch ein relevanter Hb-Mangel (i.d. Regel 6-7 g/dl, peripartal gel. geringer) oder relevante Vorerkrankungen mit Versorgungsproblematik (z.B. KHK) und/oder zeigt der Patient zusätzlich sogenannte Transfusionstrigger (Schwindel, Angina pectoris, Tachykardie, ST-Streckenveränderungen…) so besteht sehr wohl eine Indikation zur Transfusion, dann aber aufgrund der Hb-Mangelsymptomatik!

Woran orientieren wir uns zur Volumensteuerung?

Nun, zum einen am theoretischen Volumenbedarf, also etwa 1,5-2 ml/kg/h (40ml/kg/d) . Rechnerisch ergeben sich bei einem 70 kg schweren Patienten etwa 2,5-3,4 l/d. Zieht man etwa 700 ml für aus der Nahrung prozessiertes, resp. aufgenommenes Wasser ab, erhalten wir die aus Illustrierten bekannten 2 bis 2,5 l Wasser pro Tag.

Des weiteren ziehen wir verschiedene Zusatzfaktoren in Betracht, die den perioperativen Volumenbedarf erhöhen:

  • Perspiratio insensibilis – bei großen Baucheingriffen ergibt das offenliegende Gewebe eine riesige Verdunstungsfläche, so dass der Stundenbedarf schnell von 2 ml/kg/h auf 6-8 ml/kg/h perioperativ steigen kann! Ohne Operation rechnen wir mit zusätzlichen 0,5 ml/kg/h.
  • Fieber – für jedes Grad Celsius über 37°C veranschlagen wir etwa 500 ml Wasser Zusatzbedarf!
  • Ileussymptomatik – Patienten mit Störungen der Peristaltik verlieren große Mengen an Flüssigkeit in das Darmlumen, ohne dass eine entsprechende Rückresorption stattfinden kann. Hier entstehen schnell Defizite im Bereich mehrerer Liter, ohne dass es möglich ist, den Bedarf sauber zu schätzen. 3-5 l sind eine gute Heuristik.
  • Akute Verluste: Blutung, Aszites, Erbrechen: Die Blutung als Hauptursache chirurgisch induzierter Volumenmangelzustände ist nicht nur ein Volumenproblem. Zu bedenken ist bei der Therapie mit Kristalloiden, dass nur etwa 20% des infundierten Wassers im Lumen verbleibt, der Volumeneffekt vergleichsweise schwach ist und damit etwa 5 mal so viel infundiert sein will, wie verloren geht. Des weiteren muss der Hb bedacht werden. Die Grenze von 7 g/dl steigt mit der akuten, ungestillten Blutung auf 10 g/dl unter der Idee, dass Gerinnung “Bausteine” braucht, um Thromben zu bilden, wir brauchen also Erythrozyten als Basis, so wie deren Effekte auf die Gerinnung (Faehreus-Lindquist-Effekt, Radialmigration der Erys und Randbewegung der Thrombos). Die Gabe von EKs muss also erwogen werden. Zusätzlich verdünnt Blutung und Volumenersatz die Gerinnungsfaktoren, so dass auch hier eine entsprechende Vigilanz und ggf. additive Substitution not tut. Aszites – neben Wasser geht hier z.B. bei der Leberzirrhose auch Eiweiß (v.a. Albumin) verloren, so dass es zusätzlich zu hypoproteinämen Ödemen und weiterem Wasserverlust in die Peripherie kommen kann. Beim Erbrechen lohnt sich der gelegentliche Blick auf Chlorid und pH um hier ggf. gegensteuern zu können.

Klinisch orientieren wir uns z.B. an der Diurese. So sollte die Stundendiurese mehr als etwa das halbe Körpergewicht betragen.

Diurese >0,5-1 ml/kg/h

Zusätzlich ist die Urinfarbe beim Nierengesunden ein guter Hinweis auf den Volumenstatus (dunkler “hochkonzentrierter” Urin).

Zeichen der Zentralisierung und Kreislaufreaktion runden unser klinisches Bild ab. So sind kalte Extremitäten mit erhöhter Rekapillarisierungszeit (>3 s) und Marmorierung auch Zeichen der Hypovolämie. Der “passive leg-raise test” fällt positiv aus, wenn auf passives Anheben der Beine (fälschlich gern mal “Autotransfusion” genannt) die Herzfrequenz sinkt und/ oder der Blutdruck steigt.

Apparatemedizinisch sehen wir beim normorhythmischen Patienten einen arterial swing mit einer Schlagvolumenvarianz (SVV) über 10%, im Labor ist ein moderat erhöhtes Lactat Ausdruck peripherer Mikrozirkulationsstörungen mit partiell anaerober Energiegewinnung.




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